Nahe Null: [gangsta Fiction]
Safeknackern und Taschendieben nach Sibirien brachte und wo sich in der Woche darauf wer weiß woher aufgetauchte neue Taschendiebe und Safeknacker familienweise niederließen, dort saßen die Schwippschwäger beisammen und tranken Getreidebranntwein. Einer der Männer lauschte und bellte: »Sind das etwa Schüsse? Wird da einer umgebracht?« - »Wennschon, geschieht denen recht«, blaffte ein anderer. »Wem - denen?« - »Na allen, schenk ein.«
»Gratuliere, Bruder«, sagte Chief, trat zu Jegor, der ebenso entleert und erhitzt war wie die Pistole, zog eine gewöhnliche Schere aus der Tasche und fuchtelte damit ein paarmal über seinem Kopf herum. »Sie sind nun geweiht für den heiligen Dienst, aus der irdischen Welt genommen für den ewigen Krieg; aufgenommen in die Organisation. Und dürfen ihren Namen erfahren: Bruderschaft der Schwarzen Büchermagie. Sie sind nun ein Büchermagier. Die Pistole behalten Sie. Patronen finden Sie in der Küche im Apothekenschränkchen. Schenken Sie ein.«
11
Jegor erwachte im selben Zimmer, im selben Sessel. Sämtliche Möbel aus der Wohnung bis auf diesen Sessel waren verschwunden. Chief war weg. Dort, wo Fjodor Iwanowitsch gestorben war, lag ein schwarzes Buch. Auf einer mit einem welken Veilchen gekennzeichneten Seite war eine Stelle markiert: »I have cause, and will, and strength, and means to do't.«
Jegor war innerlich unerträglich trocken und heiß. Er schlurfte zur Küche, schluckte den Wasserhahn und saugte aus ihm das gesamte kalte und dann, weil er noch immer durstig war, auch das heiße Wasser heraus. So dass es eine Etage höher, in der unguten Wohnung, an diesem Morgen kein Wasser gab und sich die kriminellen Verwandten nicht waschen konnten, weshalb sie, klagend und fluchend, mit ungeputzten Zähnen auf Raubzug gingen.
Jegor begriff, dass er nun ein organisierter Verbrecher war, wusste jedoch nicht, wohin Banditen zur Arbeit gehen. Darum wollte er in den Verlag. »Kamerad«, vernahm er, als er auf die Straße trat. Und nach vierzig Schritten erneut: »Kamerad, he, Kamerad.« Und noch einmal, bereits ein wenig spöttisch und gereizt: »He, Kamerad in den blutigen Turnschuhen!« In Turnschuhen, das bin ja ich, kapierte Jegor und blieb stehen. Sind sie wirklich blutig? Tatsächlich! Er wollte die Schuhe ausziehen, doch der ihn angerufen hatte, ein Gnom oder ein Kind, winkte ihn zu sich und führte ihn zu einem vor der Apotheke geparkten Audi - der sagenhafte westliche Wagen war vom Apotheker und von halbtoten Validol-Käufern mit stumpfen Mienen umringt. Er öffnete die Tür und zeigte auf den Fahrersitz. Jegor stieg ein. Neben ihm saß Chief.
»Er ist sechs Jahre alt. Ein halbes Jahr macht er's noch. Und wenn Sie in einem halben Jahr keinen neuen haben, können Sie mich für einen Kommunisten halten«, sagte Chief. »Wohin wollen Sie?«
»In den Verlag.«
»Wozu? Sie gehören doch jetzt zur Bruderschaft.« »Na, ich wollte mich von Iwetta verabschieden.« »Wozu?«
»Na ja, so viele gemeinsame Jahre ...«
»Wenn Sie so sentimental sind, dann gehen Sie lieber von Fjodor Iwanowitsch Abschied nehmen. Er liegt im Leichenschauhaus der ersten städtischen Klinik.«
»Na schön, gehe ich eben nicht.«
»Übrigens«, erklärte Chief nach einer Pause, in der er sich eine Zigarette anzündete, »Fjodor Iwanowitsch war mein Vater. Bis Sie ihn getötet haben.«
»Warum haben wir ihn dann ... ?«, flüsterte Jegor irritiert.
»Nicht wir - Sie. Ich habe Sie darum gebeten«, erklärte Igor Fjodorowitsch vollkommen gelassen, »damit ich einen Grund habe, Sie umzulegen, wenn es nötig wird. Wissen Sie, ich bin ein ziemlich großzügiger Mensch, gebildet... ein bisschen Philosoph. Ich könnte niemanden töten, weil er mich denunziert, beim Verhör singt oder mich um ein, zwei Millionen Dollar bescheißt. Das hingegen ist ein gewichtiger Grund, selbst für einen Hippie wie mich. Kann nie schaden. Wer weiß, wie Sie sich machen werden. Ohne Garantien und die Entschlossenheit, bis zum Äußersten zu gehen, kann man derart heiklen Dingen nicht beikommen. Also, wenn Sie mich reinlegen, bringe ich Sie um. Aber ich werde wissen, dass ich es nicht wegen einer räudigen Million tue, sondern im Namen der Ehre und der Sohnesliebe. So werde ich die Achtung vor mir selbst nicht verlieren. Und die Ideale meiner Jugend nicht verraten.«
»Und wenn ich Sie töte?«, hakte Jegor nach.
»Diese Möglichkeit schließe ich nicht aus. Das Risiko besteht. Da kann man nichts
Weitere Kostenlose Bücher