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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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nur ein Grad wärmer wäre, würde alles in mir rasant verwesen«, antwortete dann Jegor, der beim geringsten Zuviel an Wärme vor Atemnot halbtot war und Hitze hasste wie den Strick. »Irrsinn, Irrsinn und Eiseskälte, gehen wir lieber woandershin.« Damit stand sie auf und ging einfach, ohne seine Antwort abzuwarten. Manchmal folgte er ihr, manchmal rannte er ihr nach, manchmal aber warf er etwas nach ihr, was er gerade in die Finger bekam (meist die Fernbedienung des Fernsehers), blieb allein und wunderte sich stundenlang darüber, wie wenig Menschen mitunter gemeinsam haben, die zusammen ins Bett gehen.
    Jegor schaltete den Computer ein und klickte Plaksa an. Nach kurzer Pause erschien sie und tippte statt einer Begrüßung sogleich eine Unmenge Buchstaben.
    »Ich hasse das Leben dafür, dass ich es zu sehr liebe, es mich dagegen überhaupt nicht. Ich hänge daran, klammere mich daran, und es entzieht sich. Ich vertraue ihm, und es betrügt mich. Ich liebe es, und meine Liebe wird nicht erwidert. Und darum bin ich verzweifelt. Auch zu Gott komme ich, weil ich die Menschen fliehe. Ich liebe Gott aus unerträglicher Nichtliebe zu den Menschen. Ich liebe Gott dafür, dass er kein Mensch ist. Und denke - für mehr kann man ihn nicht lieben. Nicht für all seine Geschöpfe, nicht für die Würmer und Asseln, nicht für die Koch'schen Stäbchen und die blassen Spirochäten, nicht für Iossif Wissarionowitsch und Adolf Aloisowitsch. Nicht für all dieses unermessliche Elend und den Tod, so groß wie die Welt...«
    »Eine neue Rolle?«, zwängte Jegor in die Pause nach dem Ende ihrer Rede.
    »Richtig«, bestätigte Plaksa.
    »Klingt nach einer Männerrolle.«
    »Stimmt, aber ich habe sie gekriegt. Der Regisseur ist Avantgardist. Ich werde also einen Kerl spielen.« »Ich kann dich beraten.«
    »Danke, Bettszenen sind keine drin, und jenseits von Sex ist ein Mann so simpel wie >Das Essen ist angerichtet<. Nicht voller Wunder. Flach.«
    »?!«
    »Mhmh.«
    »Dostojewski? Kafka? Wittgenstein?«
    »Gib dir keine Mühe. Zwei Drittel der Genannten sind keine richtigen Männer. Ach, eigentlich drei Drittel.«
    Es hatte zwischen ihnen so schlecht funktioniert, dass es, als Plaksa ging, nicht schlimmer wurde. Wie seine Tage geschmerzt und seine Nächte wehgetan hatten, so peinigten sie ihn auch weiter - ob mit ihr oder ohne sie. Keine Liebe passte zu dieser Frau - wie kein Schlüssel (überhaupt, generell) zum Feuer passt, sagen wir, zu einem Felsen oder zur Lüge. Darum liebte er sie nicht mit Liebe, sondern mit einer jeden Gedanken erfassenden, quengelnden Kränklichkeit, begehrte sie mit animalischer Lust. Liebte sie mit wilder Eifersucht. Und mit einer aus seinem kurzen Gedächtnis nach allen Seiten abstehenden linkischen, hochaufgeschossenen Angst: sie würde ihn betrügen, ihre Telefonnummer ändern, laut auflachen und verschwinden, ihm aus den Händen gleiten, zurück in die Gehenna, aus der sie gekommen war. Sie ihrerseits, so schien es, liebte ihn mit gar nichts. Ihr Verstand war übrigens nicht groß, aber flink. Ihre Schönheit durchschnittlich, unauffällig, aber aufgeladen mit übernatürlicher magnetischer Anziehungskraft. Ihre Seele war aus Stein, ungemütlich, aber heiß angebetet von den Legionen derer, die ihren Leib begehrten.
    Transit-Geliebte, die sie war, schien sie auch im Bett nur auf der Durchreise zu sein. Und immer sprach sie unkorrekt. Aß hastig und hörte nur zerstreut zu. Sah ihm in die Augen, aber irgendwie flüchtig und durch ihn hindurch, auf etwas, was weit hinter der Wirklichkeit lag und interessanter und schöner war. Sie glaubte auf religiöseste Art an eine andere, vollkommene, hochglanzpolierte Welt, in der lauter in feinstes Leder und Chinchilla gehüllte Clooneys lebten, wo es keine Trauer und keine Seufzer gab, nur eine ewige Party auf endlosem, von Minotti möbliertem Strand. Auf dem Weg zu diesem gelobten Fest aber musste sich die schöne Pilgerin ungeduldig die Zeit im Kreise in Porsche und Brioni verpackter stumpfer Männchen und rasch aus der Mode kommender teurer Eintagsdinge verkürzen. Wenn sie aus ihrem luxuriösen Traum in ihrer schäbigen, dicht besiedelten Realität vorbeischaute, dann nur aus dringenden Bedürfnissen, aus zwingender Notwendigkeit, stets nur für eine Minute - um mehr schlecht als recht zu warten, zu schlafen, zu essen, zu rauchen, auszuruhen. Dann machte sie sich wieder dorthin auf den Weg, wo ein Lichtermeer wogte, wo niemand alterte, schlecht roch, müde

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