Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
Vom Netzwerk:
Igor Fjodorowitsch und Jegor bewachten, und flüsterten obszön fluchend, energisch und leidenschaftlich. Dann löste sich ein rosaroter Blonder in einem anscheinend echten Puma-Anzug von der Gruppe, kam langsam auf Jegor zugeschlendert und sagte:
    »Entschuldige, wir haben dich nicht erkannt, haben's nicht gleich gecheckt. Ein totales Missanderstending. Bestell Onkel Achmet 'nen schönen Gruß von den Jungs aus Ljuberzy. Und du Blödmann kannst von Glück sagen, dass du mit einem so angesehenen Mann rumläufst, sonst würdest du jetzt mit zerschossener Birne auf dem Müllplatz der Schule liegen. Na, das blüht dir so oder so, Arschloch, das garantier ich dir, aber nicht heute, okay, nicht heute.«
    Der rosa Gangsta drückte Jegor die Hand und verschwand mit den Banditen auf jenem Schulhof, auf dem Igor Fjodorowitsch, der also nicht nur Stevens-Spezialist war, sondern sich auch als Chief, Blödmann und Arschloch entpuppte, beinahe ein Ende gefunden hätte.
    »Jegor, wir gehen jetzt kein Bier holen. Kommen Sie mit«, murmelte Igor Fjodorowitsch. Sie gingen zurück Richtung Verlag, bogen um die Ecke und betraten in der Nebenstraße einen Stalin-Bau, ein Wohnhaus im Palaststil mit Gemeinschaftswohnungen voller heruntergekommener Intelligenzler. Im dritten Stock war nur eine Tür. Igor Fjodorowitsch sagte in die Sprechanlage: »Chief, Chief«, und die Tür ging auf. Jegor sah zum ersten Mal eine intakte Wechselsprechanlage. Die Tür wurde von einem langmähnigen, grauhaarigen und glücklichen Greis geöffnet, der aussah wie Einstein, nachdem er soeben den Nobelpreis empfangen und sich den Schnauzer abrasiert hatte.
    »Jegor - Fjodor Iwanowitsch«, stellte Chief knapp und nachlässig vor.
    Der Raum mochte eine Art Lager sein, ein Büro oder ein Hotelzimmer. Er hatte auch etwas von einem Ausstellungspavillon. Alles, was sich ein belesener, halbgebildeter einfacher Ingenieur, der fünfmal hintereinander im Lotto gewonnen hat, für sein Glück im Überfluss vorstellen konnte, drängte sich auf den rund hundert Quadratmetern und sprang prahlerisch ins Auge. Da waren: Renovierung nach westeuropäischem Standard in ungarisch-türkischer Ausführung, an die fünf Hi-Fi- und Heimkino-Anlagen von Mitsubishi und Akai, italienische Möbel aus Armenien, Dosenbier, Amaretto-Likör, Rothmans-Zigaretten und Pistazien in giftigbunten Packungen. Zudem diverse Kartons mit fremdsprachigen Aufschriften, aus einigen Xerox-Verpackungen quoll Geld.
    Fjodor Iwanowitsch goss schweigend Likör in Kognakschwenker, kippte sich die mit Lippenstift beschmierten Zigarettenkippen aus dem Aschenbecher in die Hand, ersetzte sie durch Pistazien und verließ taktvoll das Zimmer. Igor Fjodorowitsch und Jegor setzten sich in Sessel.
    Zwanzig Minuten lang tranken beide den widerlich süßen Likör und knabberten dazu gesalzene Pistazien.
    »Was meinen Sie, warum haben die uns gehen lassen?«, begann schließlich der angetrunkene Igor Fjodorowitsch.
    »Sie haben mich für jemand Berühmten aus ihrem Milieu gehalten, sie haben mich verwechselt und einen Schreck gekriegt«, antwortete Jegor.
    »Fast richtig. Aber nicht ganz. Sie haben erst einen Schreck gekriegt. Und dann, um ihren Schreck zu rechtfertigen, ihn, wissenschaftlich ausgedrückt, zu rationalisieren, entschieden, dass Sie zu den Männern von Onkel Achmet gehören, einer Kriminellenautorität aus Balaschicha.«
    »Und warum, meinen Sie, haben sie einen Schreck gekriegt?«
    »In Ihren Augen, in Ihrem Gesicht, in Ihrer ganzen Haltung ist etwas ...«, sagte Chief nach einer langen Pause langsam und gedehnt. »Es ist still in Ihnen drin, immer still, selbst wenn Sie Angst haben oder fröhlich sind. Mit dieser inneren Stille kann man sich ins Feuer stürzen und dumme Kinder und alte Leute retten, aber damit kann man genauso gut im KZ am Ofen stehen. Diese Stille halten primitive Menschen für Gleichgültigkeit. Und vor Gleichgültigen soll man sich fürchten, sagt Anton Tschechow. Also haben sie Angst vor Ihnen. Das ist mir an Ihnen schon lange aufgefallen, und heute hat es sozusagen in der Praxis funktioniert. Also ist das nicht nur mein persönlicher Eindruck, sondern Tatsache, eine Macht. Ihre Gleichgültigkeit rührt nicht von Schwäche oder Stumpfheit, ganz im Gegenteil. Von einem Übermaß an Gedanken und Wünschen. Sie sind gleichgültig und gelassen, weil nichts um Sie herum Ihrem Maßstab entspricht, es ist alles zu klein und nicht echt. Nur etwas Grandioses kann Sie mitreißen. Vielleicht etwas so

Weitere Kostenlose Bücher