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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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Probleme häufig mit Ktitor regelte. »Hallo, Ira«, sagte der mutmaßliche Staatsanwalt. »Na, wie ist er heute drauf?« - »Gut, sehr gut, keine Sorge«, ermunterte ihn Ira und fügte, an den Minister und Jegor gewandt, hinzu: »Grüß dich, Andrej, und dich auch, schwarzer Büchermagier.« Sie eilte zum Seiteneingang hinaus, um sich anzuziehen, und der Wer-weiß-was-General ließ, obwohl eigentlich er dran war, dem Minister den Vortritt. Der war nach vier Sekunden wieder draußen, eine Hand auf das linke Auge gepresst, die andere hielt ein Häufchen schmutziger, ausgeschlagener Zähne. Halblaut klagend, zog er sich mit Abakums Hilfe an. Der Bittsteller in Uniform war nun endgültig entmutigt und entfernte sich, nachdem er vor sich hingemurmelt hatte, wo denn wohl die Toilette sei. Jegor freute sich, dass er nicht lange warten musste (Ktitor war Gott sei Dank überhaupt ziemlich pünktlich), und schritt ohne Zögern ins Dunkel der Banja.
    Der Raum war voller Dampf und Dunst wie der gestrige Abend. So dichtem Dampf, dass Jegor während des ganzen Gesprächs Ktitor gar nicht recht sah. Nur hin und wieder schien eine Silhouette mit rotbehaartem Arm oder eine Tätowierung (auf der linken Brust ein Bunin-Profil, auf der rechten Franz Kafka von vorn und der Text: »Rache an den Bullen für alles.«) oder das auch in der Banja-Hitze um seinen Hals baumelnde und mal Bunin, mal Kafka ansengende, unbarmherzig erhitzte gewaltige Brustkreuz auf. Der Unsichtbare sprach zu Jegor aus einer kochenden Wolke: »Na, schwarzer Büchermagier, hast du mir was Brauchbares mitgebracht oder wieder irgendwelchen Abfall? Du weißt, ich bin ein gläubiger Mensch, ich rede gern Klartext. Was heilig ist, ist heilig, aber Scheiße ist Scheiße. Also!«
    Dieser wackere Mann war auch noch (als mangele es seinem Bild an kräftigen Farben) leidenschaftlicher Liebhaber und Sammler literarischer Miniaturen aller Art im ganzen Land: eleganter Erzählungen, Gedichte, Poeme, kleiner Theaterstücke. Jegor hatte den sentimentalen Mordbuben mit erhabenem Schrifttum angefixt, als er ihm bei einer Zusammenkunft im trunkenen Gespräch zufällig acht Zeilen eines zeitgenössischen verschollenen Genies vortrug. Damit war Stas verloren, er konnte sich nicht mehr losreißen, er kaufte schöne Worte zu unverschämten Preisen, gab sie auf eigene Kosten in einer Serie namens »Stassows Lektüre« heraus, in wenigen, handgefertigten Exemplaren, in Leder oder schwarzes Holz gebunden, mit Perlen und Rubinen verziert, auf eigens in Schweden geordertem Papier - und erwarb sämtliche Rechte, für den Safe, für seine Sammlung, für die Nachwelt. Testamentarisch vermachte er alles Gesammelte der Lenin-Bibliothek; lebenden Zeitgenossen, zwei, drei Dutzend Auserwählten, Kennern und Bekannten, schenkte er die Bücher. Er bezahlte die Autoren, schätzte Dichter und Schriftsteller jedoch nicht sonderlich. Für ihn waren sie so etwas wie Gelegenheitsmusiker, ein Völkchen, das je nach Stimmung gebraucht wurde, aber keine Autorität besaß. Am ungeheuerlichsten war, dass Ktitor einen guten, wahrhaft literarischen Geschmack hatte. Jegor war sein Sammler und Berater geworden und genoss sein Vertrauen, wenngleich sich der wählerische Mäzen nicht alles unterjubeln ließ. Er war ein Käufer mit Niveau.
    »Vorerst habe ich nur eine Erzählung für dich, Stas. Aber was für eine! Eine amüsante Geschichte.« Er zog eine Papierrolle aus den Falten des Badetuchs.
    »Jemand Neues oder einer der Schmarotzer?«
    »Ein Neuer.« Jegor schob die Blätter in die mit Stassows Bariton tönende Dampfwolke. Der Bariton knurrte: »Scheibenkleister, Mann, ich sehe nichts; ach doch, hier, unter der Lampe, so, so, ja«, und las:
    »>Geboren werden heißt noch nicht geboren werden. Das Schicksal trägt uns länger als neun Monate aus, und viele, die ein reifes Alter erreichen, sich eine umfangreiche Biographie, Familien und Hausrat zugelegt und die höchsten Höhen erklommen haben, mitunter bis zu Traumposten auf gewisser Ebene, also viele dieser Menschen sind noch gar nicht auf die Welt gekommen und kennen weder ihren wahren Namen noch ihr Gesicht oder ihre Bestimmung.
    Aber ich will zu meinem eigenen kleinen Fall kommen und beginne damit, dass ich seinerzeit geheiratet habe. Wie jeder wenig unternehmungslustige Mensch aus Liebe. (Die Frauen erscheinen mir, nebenbei bemerkt, wie Pausen des Seins, in denen Gott seine zähflüssigen Gifte verbirgt.)
    Bekannte hatten mich längst davon überzeugt, dass

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