Nahe Null: [gangsta Fiction]
wir glücklich lebten. Doch eines Tages sagte meine Frau lächelnd zu mir, ich sähe aus wie ein riesiger Vogel.
Einige Zeit darauf, an einem herrlichen Sonntagmorgen, mit dem man gern einen leicht lesbaren Roman beginnen möchte, erwachte ich von dem Gefühl, dass mich jemand aufmerksam betrachtete. »Du schläfst wie ein Greif«, sagte meine Frau, und in ihrer Stimme vernahm ich ein entferntes Echo von Entsetzen und Abscheu.
In der nächsten Nacht fühlte ich mich zum ersten Mal hilflos, denn sie konnte nicht aufhören zu schluchzen und zu heulen. »Verzeih mir, ich kann hier nicht schlafen. Mir scheint, du bist ein Greif, und unter deiner Decke sind Federn«, versuchte sie die Lage zu erklären.
Von da an schliefen wir in verschiedenen Zimmern. Doch nun träumte sie vom Schlagen gewaltiger Flügel und fürchtete, ich käme in ihr Schlafzimmer geflogen.
Wir konsultierten Ärzte. Ich bezahlte eine Unmenge wenig trostreicher Diagnosen und sinnloser Rezepte. Ein Doktor verschrieb meiner Frau Diazepam, ein anderer mir Baldriantropfen, der dritte, mit Anekdoten und Tabakasche um sich werfend, empfahl eine zuverlässige psychiatrische Heilanstalt für uns beide, der nächste murmelte etwas Banales von ganz normaler Abkühlung der ehelichen Beziehungen.
Ich stand nun oft lange vorm Spiegel und entdeckte nach und nach in meiner Figur und meinen Bewegungen viel unleugbar Vogelartiges.
Nach drei Monaten lief meine Frau mir weg; sie hinterließ einen ausführlichen Brief, in dem sie schrieb, »nur ich selbst und meine albernen Phantasien« seien schuld an allem, was passiert sei.
Ich zählte in dem traurigen Text zwei grammatikalische und vier Interpunktionsfehler. Das Wort „Greif" kam neunmal vor.
Dann besuchten mich Freunde, um mich zu trösten und sich nach Einzelheiten zu erkundigen. Als ich ihnen sagte, dass meine Frau mich wegen meiner Ähnlichkeit mit einem Greif verlassen habe, lachten sie, doch einer von ihnen bemerkte, ich sähe in der Tat aus wie ein Greif.
Seitdem nannten sie mich scherzhaft Greif, und ich wurde wütend und stürzte mich in einen finsteren Kampf gegen meine eigenen Gesten, Grimassen, meinen Gang, mein Gesicht, die in jeder Kombination in der Summe einen eindeutigen Greif ergaben, und sank bald so tief, dass ich an plastische Operationen, Verkleidungen und Umzug dachte.
Jedes Lächeln deutete ich als Spott, und jeden, selbst das gutmütigste Gegenüber, verdächtigte ich, mich mit dem höflichen Übersehen meiner offenkundigen Missgestalt demütigen zu wollen.
Der Greif, der siegreiche Greif drang als unheilbare Krankheit durch jede Pore meines Körpers.
Und dann kam ein weiterer herrlicher Sonntagmorgen, der Schlaf hatte mich verlassen, doch ich kroch nicht unter der Decke hervor, um die glänzenden glatten Federn an meinem Körper nicht sehen zu müssen. Meine langen knochigen Gliedmaßen waren mir zuwider, und ich war erschöpft.
Da wählte ich, wie jeder wenig unternehmungslustige Mensch, die einfachste Art, mich von der Angst, ein Greif zu sein, zu befreien. Ich wurde einer.
Und nun bin ich ein Greif, und das ist ein wenig seltsam, denn aus mangelnder Neugier habe ich fast nichts über dieses Wesen in Erfahrung gebracht. Ich weiß nur, dass ich ein großer schwarzer Vogel bin, lange lebe und mich von Aas ernähre.<«
»Und, wie findest du's?«, fragte Jegor.
»Düster. Wieso bringst du mir dauernd Düsteres?«
»Ich bringe, was sie schreiben. Wie viel zahlst du dafür?«
»Wie immer.« »Einverstanden.«
Aus der Wolke kam nasses Papier mit verschwommenen Buchstaben gekrochen.
»Gib's Abakum. Er kümmert sich um alles.«
»Okay. Ich geb ihm eine Diskette. Das Papier ist ja ganz durchgeweicht.«
»Ach, scheiß drauf.« Stas warf die Erzählung zu Boden. »Hör mir mal zu.«
17
Das Telefon meldete sich mit dem frommen österlichen Klingelton der Glocken des Solowki-Klosters. Der Apparat befand sich direkt im Dampfbad, eine Sonderanfertigung, hitzebeständig, wasserfest und mit selbstkühlendem Hörer und Tastatur.
»Hallo? Hallo, hallo! Ja. Und? Wie daneben? Mann, du ... Du Trottel! Der Feind soll dich holen ... Was ? Einen Hund getroffen ? Was für einen Hund? Wer hat den ausgeführt? Hallo ... Wieso denn der Hund? Er hat bei mir Schulden, nicht sein verfickter Hund. Dafür wird dir der liebe Gott die Eier abreißen. Weil du Trottel den Falschen abgeknallt hast. Ich werde gleich ... Ich ... Ich bin ein ... Ich ... Halt's Maul! Ich bin ein gläubiger Mensch. Du
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