Nahe Null: [gangsta Fiction]
um vier. Nein, warte, ich bringe sie dir lieber um halb fünf zum Almasny. Dafür gehst du bitte morgen mit ihr zum Arzt. Um fünf. Du weißt ja, wie es mit ihr beim Arzt ist.«
»Hab ich ein Glück. Hör mal, morgen ist doch Samstag. Was für ein Arzt?«
»Ich hab mit Belenki gesprochen. Er kommt extra.«
»Was hat Nastja denn?«
»Schön, dass du auch schon fragst. Sie hat oft Angina, und er soll nach der Ursache sehen.« »Gut.«
»Bis morgen«, verabschiedete sich die Exfrau, bereits ziemlich spitz und gereizt.
Sie hatten gelernt, möglichst wenig miteinander zu reden, denn sie wussten, dass mit jedem Satz, und sei er noch so belanglos oder unsinnig (und das waren sie mittlerweile meistens), ihre Gereiztheit rasch zunahm. Zunächst waren es ernste Themen wie Moral, der Stellenwert ausgestorbener Sprachen oder die angemessene Raumtemperatur gewesen, doch spätestens seit Nastjas Geburt entfalteten selbst Fragen niederer Natur, wie die nach der Notwendigkeit sündhaft teurer Vitaminpräparate für die Kleine oder nach dem höheren Wert eines Seeotter-Pelzes für die Mutter erhebliche Sprengkraft.
15
Eine Stunde später fuhr Jegor auf dem Landsitz seines größten und reichsten Klienten Stas Stassow, Spitzname Ktitor, vor. Diesen ehrenwerten Beinamen hatte der erfolgreiche Kriminelle aus Schatura für seine eifrige Hingabe quasi an die Religion, allerdings nicht direkt an unseren Glauben, sondern vielmehr an die vergoldete und reichgeschmückte Seite der Kirche erhalten. Dienstlich zum Morden verpflichtet, ein wahrer Jagoda aus Berufung, den weder die Tränen eines Kindes noch das Flehen eines schutzlosen Opfers um Gnade rührten, heulte er beim Anblick eines Kirchenleuchters oder eines Klobuk Rotz und Wasser. Jede Äußerung, und seine Äußerungen waren überwiegend obszöner und einschüchternder Natur, begann er mit den Worten: »Ich bin ein gläubiger Mensch«. Seine aufdringliche Verehrung und seine zu vielem verpflichtende, lästige Großzügigkeit war für alle Gemeinden und Klöster der Umgebung und mehrere entfernte Bistümer extrem belastend. Er besuchte die heiligen Stätten vor und nach jeder kriminellen Auseinandersetzung. Meist begleitet von einem gewissen Abakum, einem stumpfgesichtigen Auftragskiller, der ebenfalls gern hin und wieder gläubig war und zugleich als ausdauernder Geldträger diente. Das Geld wurde packenweise in die Kirchen geschleppt, in einem abgewetzten und lässig halboffenen Touristenrucksack, aus dem Ktitor so viel schaufelte, wie es seiner nach Erlösung dürstenden Seele behagte. Ktitor kreuzte mit vier, fünf gepanzerten Hummer-Jeeps oder gepanzerten Porsche Cayenne, je nach Laune und Wetter, vor der Kultstätte auf, griff sich zur Einstimmung einen gaffenden Krüppel oder eine müßige Großmutter, eine von denen, die sich gern verstorbene Großväter anschauten, und stopfte ihnen die Taschen, den Rocksaum oder die Hemdbrust voll mit Dollars, Euros und Rubeln, dänischen Kronen, sogar ukrainischen Griwny, je nachdem, wer am Vortag beraubt worden war. Dann gingen Ktitor und Abakum in sämtliche Kirchenkioske und Lädchen und kauften den gesamten Vorrat an Kerzen aller Größen, Plastikkreuzen und dazugehörigen Halsbändern, Broschüren und Kalendern, Ikonen für den Massenbedarf, verbilligten Öllämpchen und anderen seelenrettenden Utensilien und Gerätschaften auf.
All das wurde stehenden Fußes gewaltsam an jeden verschenkt, der nicht rechtzeitig floh. Dann gingen sie in die Kirche, stopften sämtliche Spendengefäße voll und marterten den Popen mit theologischen Befragungen wie: »Der Erzengel Michail ist bei Gott zuständig für die Armee, und der Erzengel Gabriel, wofür ist der? Stimmt es, dass der hl. Paulus Jude war? Und wenn ja, was heißt das? Wenn die Toten auferstehen, wie sehen sie dann aus? Wie im Augenblick des Todes? Oder ein bisschen besser? Was ist ein Kamilawkion?« Jede Antwort wurde extra bezahlt. Je ausführlicher die Antwort ausfiel, umso verständlicher schien sie und brachte dem Popen darum besonders viel ein. Dann wurden die Chorsänger herbeigeholt und für ein Extraentgelt Kirchenlieder bestellt. Nachdem sie diese angehört hatten, manche dreimal hintereinander, und gerührt waren, gingen sie hinaus zu den Autos, tranken auf der Motorhaube den mitgebrachten Wodka und Messwein und aßen Dörrfisch dazu. Die Rührung wuchs, die Chorsänger wurden auf die Straße geholt und sangen noch heftiger, bis zum Dunkelwerden. Wer bei einer
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