Nahe Null: [gangsta Fiction]
solchen Gelegenheit ein Kind taufen ließ, heiratete oder zur Totenmesse kam, verließ die Kirche mit Unmengen Geld. Die Säuglinge erhielten goldene Nuckel und Fläschchen aus Baccarat-Kristall. Die Brautpaare wurden mit Carrera y Carrera beringt, manche an Ort und Stelle mit einem Hummer oder Cayenne beschenkt, je nach Laune. Die Verstorbenen bekamen bis zu fünfzig Dollar Spesen mit in den Sarg gelegt, außerdem wurden den Angehörigen am Abend ein Marmor- oder Malachitbrocken für einen Grabstein geschickt und ein Gutschein für zwanzig Jahre Gedenkgebete in einem kommerziellen griechischen Kloster auf der Insel Volos, wo Ktitor den Klostervorsteher kannte, einen Mann mit nebulöser Vergangenheit, aber gescheit und wandlungsfähig. Wenn er genug Akathistoi und Troparien gehört, bis zur Gewandniederlegung und zum Kopfdröhnen gebetet und ausgiebig vom guten Wein getrunken hatte, stopfte Ktitor seine Autos mit frommen alten Frauen, Chorsängern und Narren voll und nahm sie mit nach Hause, in seine Banja, zum Schwitzen, Weiterbeten, Weitersingen und Weitertrinken.
Die Banja nahm die Hälfte von Ktitors Haus ein (das rund 3000 Quadratmeter maß). Hier gab es alles, was die römische, deutsche, russische, finnische, türkische und japanische Bade- und Waschkunst der Menschheit geschenkt hatte. Hier lebte und arbeitete Ktitor.
Die Hälfte der restlichen Hälfte bot einer Hauskirche von unbescheidener Größe und Ausstattung Platz, mitsamt einem unverschämt aufgeblasenen Stab an Prophezeienden, Heilenden, Lehrenden und einfach nur dort Lebenden. Ktitor träumte sogar von einem hauseigenen Bischof, doch der örtliche Metropolit, der Ktitor insgeheim für eine Schande des Bistums hielt und die Streiche des unvernünftigen Schäfchens nur mit Mühe duldete, hatte ihm das unter Androhung der Exkommunikation ausgeredet und strikt verweigert. In der Kirche erholte sich der ungestüme Kirchgänger, sie ersetzte ihm Kino, Theater, Bibliothek, Tanzklub, Museum, Sportsaal und Banja.
Den Rest des Hauses, das ausnehmend unsinnig und teuer projektiert und gebaut und zum Leben fast ungeeignet war, bewohnten Ktitors Verwandte, darunter auch seine Familie, ja sogar, wie man ihn wissen ließ, zwei Familien. Dort wurde ständig gefeiert, um Eigentum gestritten, gezankt, gesiecht, einige Male sogar gestorben, aber Ktitor hatte sich so sehr seiner harten Arbeit und seinem um Klerikales kreisenden Eifer verschrieben, dass er sich nicht um Familienangelegenheiten kümmerte. Hin und wieder schaute er vorbei, um die Kinder zu zählen und seine Frau kennenzulernen, kam mit den Frauen und Kindern aber bald durcheinander und lief, entnervt von Weibergejammer und Kindergeschrei, zurück, zum Beten oder Schwitzen.
16
Zu diesem wackeren Manne also war Jegor gekommen. Begleitet von Abakum, lief er rasch den vertrauten Weg in den über und über vergoldeten Banja-Vorraum von der Größe eines geräumigen Saals im Rokokostil, wie ihn sich ein Provinzdesigner und die Bauleute aus Chisjnäu vorstellten. Seine Sachen verstaute er in einem Schrank mit Intarsien aus Silber und Murano-Glas, der mit Kängurufell ausgeschlagen und mit Perlen verziert war. Er wickelte sich in ein von Gucci persönlich genähtes Badelaken (so stand es in dem dicken Zertifikat, das dem italienischen Stoffteil kostenlos beilag) und setzte sich in die Warteschlange, in einen Sessel vor einer der Banja-Türen. »Heute empfängt er im Russischen, Jegor Kirillowitsch«, informierte ihn Abakum. »Sie sind als Dritter dran, Jegor Kirillowitsch, trinken wir ein Gläschen«, krächzte einer der Wartenden, ein dicker und auch ohne Banja krebsroter Mann mit pickliger Visage, ein zweitrangiger Minister für irgendwelche nicht näher bestimmte Angelegenheiten. In ein ebensolches Tuch gehüllt wie Jegor. Sie hatten sich vor einem Jahr kennengelernt und begegneten sich häufig hier in der Schlange. Der dritte Besucher trug Generalsuniform und war wohl Staatsanwalt, Eisenbahner oder Diplomat. Er schien zum ersten Mal hier zu sein, war verlegen und wäre gern wieder gegangen, doch sein Anliegen war offenbar sehr wichtig. »Vorher ist ungesund. Wir trinken hinterher einen, wenn Sie so lange warten, Andrej Stepanowitsch«, antwortete Jegor statt einer Begrüßung. Aus dem Dampfbad kam unterdessen, »Oh! Tut das gut! Tut das gut!« rufend, eine erhitzte füllige Frau mittleren Alters im Badeanzug gestürmt, ebenfalls eine alte Bekannte, die Gattin eines namhaften Politikers, die dessen
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