Nahe Null: [gangsta Fiction]
Schönfärbereien machte Jegor sich ein Bild von Plaksas Boheme-Abenteuern. Geldnot und Kränkungen brachten sie anscheinend nicht von ihrem Weg ab. Sie strebte noch immer auf die Leinwand, auf Magazin-Titelseiten, auf Poster, wollte vor aller Augen sein, in aller Munde. Sie schickte ihm einige Foto- und Videoaufnahmen von sich. Angeblich Probeaufnahmen. Jegor gefielen die Probeaufnahmen nicht. Überhaupt war ihm langweilig mit Plaksa. Dennoch chattete er mit ihr - regelmäßig, immer zur selben Zeit, verschob und versäumte mitunter sogar wichtige Angelegenheiten, nie aber auch nur einen einzigen Termin mit ihr. Ganz so, als erfülle er eine vor fremden Augen geheim gehaltene beschämende Pflicht. Als arbeite er sein böses Schicksal bei dieser launischen Frau als Knecht ab.
»Ich möchte dich einladen« - Plaksa tippte noch ein paar Sätze -, »zur ersten Vorführung des neuen Films, in dem ich mitspiele. Fast eine Hauptrolle. Er ist gerade fertig geschnitten. Aber es zieht sich, Graphik und Ton kriegen noch den letzten Schliff. Doch im Großen und Ganzen ist der Film fertig. Er ist ungewöhnlich, das sage ich dir gleich, stellenweise schwer zu verkraften. Nichts für jedermann. Versprich dir also keine Entspannung. Aber du bist ja ein Intellektueller und ein Ästhet - du wirst ihn zu schätzen wissen. Die Rolle war schwer für mich, ich würde mich also freuen, wenn es dir wenigstens ein bisschen gefiele.«
»Freut mich für dich. Wohin soll ich eilen?«
»Die geschlossene Vorführung ist morgen um 21.00 Uhr. Im Klub
Unter uns
, Ordynskaja-Straße 2a. Damit sie dich reinlassen, sag am Eingang, du kommst auf Einladung von Timofej Jewrobejski. Wirst du kommen?«
»Auf jeden Fall. Was gibt's sonst Neues? Wann sehen wir uns mal quasi offline, nicht im Netz, sondern in echt? Kommst du vielleicht auch zur Vorführung?«
»Ich kann nicht. Verabreden wir uns doch für später. Treffen wir uns am Sonnabend im Chatroom, dann machen wir was aus, auch um Mitternacht. Ehrlich gesagt, das ist meine erste ernsthafte Filmrolle. Wir werden Gesprächsstoff haben. Wann und wo wir uns treffen, bereden wir am Sonnabend.«
»Okay.«
»Bye.«
»Bye-bye.«
Jegor klickte eine Nachrichtenzeile an. Er war unerschütterlich entschlossen, zu keiner Filmvorführung zu gehen und mit Plaksa Schluss zu machen, und zugleich vollkommen sicher, dass er auf jeden Fall in dieses unbekannte
Unter uns
gehen und sich diese fucking Vorführung bis zum Schluss ansehen würde, wie ein Verhexter oder ein Verurteilter, und im Halbdunkel des Saales von Plaksa träumen würde, von der unnötigen, unerwünschten, unvermeidlichen Begegnung mit ihr.
14
Der Freitag begann für Jegor unvermittelt um halb fünf Uhr morgens. Er erwachte von selbst und sofort, nach kaum zwei Stunden Schlaf, nicht von einem Traum, sondern von einer fröhlichen Leichtigkeit, die plötzlich seine Brust erfüllte und all seine Gedanken ohne Unterschied emporhob, sie über seinem Körper schweben und nicht zur Ruhe kommen ließ. Das geschah ihm häufig, und wie immer bei einem solchen Erwachen war sein Kopf klar, von jener giftigen Klarheit und fieberhaften Freude, die das Gehirn blendeten und jegliche Konzentration verhinderten, wie sie die Seele in der ersten Zeit des Wahnsinns oder zum Beispiel in Vorfreude auf schnelle Liebe oder ein langes, gemächliches Besäufnis erfüllen.
Über die Fensterscheiben huschten zwei Lichter, elektrisches und blasses Sonnenlicht. Sie verschmolzen zu einem metallisch schmeckenden Gemisch, das, in Überdosis genossen, angeblich so manchen Schwächling zum Selbstmord treibt. Jegor blieb bis gegen sieben liegen, starrte in den Fernseher, zappte von Sender zu Sender und betrachtete die fast stummen, nur undeutlich flüsternden Bilder (morgens ertrug er nichts Lautes). Schließlich kam der Morgen in Schwung und schien, zumindest äußerlich, gelungen: Im Gegensatz zum gestrigen sumpfigen, in der eigenen feuchten Schwüle erstickenden Donnerstag war er frisch und windig und verhieß einen klaren, unruhigen Tag, kühl wie die Schlaflosigkeit.
Allzu früh aufgestanden, trödelte Jegor absichtlich bei seinen täglichen Prozeduren, Übungen und anregenden Getränken, um seinen Organismus ohne Hast in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen.
Gegen zehn rief Sweta an (die Exfrau): »Wann holst du morgen Nastja ab?«
»Wann es dir passt.« »Es ist dein Tag. Entscheide du.«
»Ich komme gleich nach dem Mittagessen, wenn sie aufwacht.«
»Dann
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