Nahe Null: [gangsta Fiction]
alles und jeden. Wenn du dich mit ihnen einigen kannst, liefern sie dir Mamajew. Er zahlt todsicher Abgaben an sie, sonst könnte er dort nicht überleben.«
»Was für ein Irrsinn, der reinste Gumiljow'sche Alptraum«, knarrte Jegor. »Liefere du ihn mir. Er ist doch manchmal in Moskau, das hast du selber gesagt.«
»Fünfhunderttausend bis eine Million. Dollar. Kein besonders hoher Preis, durchaus angemessen. Das kratzt du schon zusammen. Und wo er sich in Moskau aufhält und wann, das wissen wir nicht genau. Bleibt nur - in den Süden, zu den Chasaren.«
»Und wie finde ich diese bemerkenswerten Menschen?«
»Du fliegst nach Karagly«, antwortete Hauptmann Warchola. »Hier, die Telefonnummer von Major Struzki. Er lebt dort, er kennt alle wichtigen Leute. Sag, ich schicke dich. Er bringt dich an den richtigen Ort, arrangiert ein Treffen mit dem Khagan. Das ist bei den Chasaren so eine Art Putin, also für den ganzen Süden. Wenn du dich mit ihm einigst, gehört Mamajew dir, wenn nicht, kommst du zurück, es gibt einen Haufen zu tun. Und überleg trotzdem noch mal, ob du das wirklich willst oder doch nicht so sehr. Die Filmtypen sind gefährliche Jungs. Große Menschen mit sehr schlechten Manieren. Willst du dich unbedingt mit ihnen anlegen? Überhaupt ist der Süden kein Kurort, da wird geschossen. Plaksa hat dich doch schon vor langer Zeit verlassen, entschuldige, wenn ich zu viel sage. Du hast mir bei unserem letzten Rendezvous Blumen geschenkt. Ich dachte, vielleicht wird es jetzt etwas zwischen uns beiden. Du hattest mir vorher noch nie Blumen geschenkt, du hast mich immer für ein Dummchen gehalten, für eine Sexvorrichtung. Aber ein Dummchen bin ich nicht.« Sarah rollte Abdallah ein Stück weg und rückte näher zu Jegor.
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Und gleich nach diesen Worten überfiel ihn Sarahs ganz eigene, ihm so vertraute Wärme, sie rann ihm lieblich in den Kragen, erfüllte augenblicklich sein Herz und lief ihm als angenehmer Schauer über Rücken, Bauch und tiefer, überschwemmte sämtliche unteren Körperregionen, drang an die verborgensten und verbotensten Stellen und strömte von dort als kochende Flut zurück in Herz, Kehle und Kopf, richtete seinen Schwanz auf, brachte Blut und Gedanken zum Schäumen und spülte aus seinem versteinernden Gedächtnis die noch immer heißen Sonnen seines ersten Frühlings.
Ihm wurde froh zumute, als erinnerte er sich an etwas Hochwichtiges, ohne das er irgendwie nicht leben könne. Als sei ihm die Wahrheit offenbart, als seien die losen Enden endlich zusammengefügt worden, als sei ihm das langersehnte mc2 erschienen und habe alles erklärt. Und als sei der steuerlos im Strudel treibende Verstand kurz vorm Untergang plötzlich zum Stillstand gekommen, als könne er ihn nun endlich verlassen und auf den festen Grund des Glaubens und der vom Glauben genährten Gleichgültigkeit treten.
Und Jegor hielt einen Speech - für sich und für Jana und »für alle, die zuhören möchten«:
»Es ist gut, Sarah, dass du gerade die Blumen erwähnt hast. Das ist richtig. Genau so ist es. Ich habe dir nie Blumen geschenkt. Und die, die ich dir geschenkt habe, waren nicht echt, sondern nur gemalt. Ich habe noch nie jemandem Blumen geschenkt. Und ich weiß jetzt, warum, Sarah. Ich habe es begriffen! Champagner, schnell, schnell, welchen ihr wollt.
Eines Tages in meiner Kindheit, im Juli, es war heiß, habe ich die Stille der Welt gehört. Aber von der Stille später. Erst einmal etwas anderes. Nicht davon will ich jetzt reden. Sondern von den Blumen. Damals habe ich aus der Kindheit heraus durch die Fülle des Lebens hindurch auch den Tod gesehen. Er kreiste wie ein schleimiger, flinker, gieriger Komet hoch über allem. Strömte Finsternis aus und machte mich auf hundert Jahre im Voraus sinnlos. Ich war klein, ahnte aber seltsamerweise sofort: Wie sehr ich meinen Körper auch anspannen und meine Seele bereichern, welche Schätze ich in meinem Herzen auch anhäufen würde - am Ende würde alles ihm zufallen.
Ich konnte das nicht akzeptieren, und das Leben war plötzlich bitter. Jeder Morgen war vergiftet, jede Liebe schmeckte nach Trauer, aus jeder Lage sah ich, wie der schwarze Komet seine Kreise immer tiefer und enger zog. Es schien mir seltsam, dass die Menschen nicht Familie, Arbeit, Angeln, Theater, Bücher, Krieg und Liebe, all diesen Unfug sein ließen und sich nicht unverzüglich an die Ausarbeitung eines Plans zur Überwindung des Todes machten. Und wenn das unmöglich war - an die
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