Nahe Null: [gangsta Fiction]
dazu. Nein, nicht übermorgen, morgen; beeil dich, Artur, gib dir Mühe, ich hab's dringend nötig, es muss sein, wirklich ...« Jegor legte sich auf den Rücken und schlief ein; das Telefon klingelte. »Artur? Hallo, bist du's?«, fragte der noch nicht ganz wache Jegor. »Hallo, was? Wer ist da? Chief? Ah, Chief, hallo, Chief.« - »Hör mir zu, Jegor«, sagte Chief mit fester Stimme. »Was ist, schläfst du?« - »Nicht mehr«, antwortete Jegor. »Du hast doch gesagt, du brauchst zwei Wochen ...« - »Das Ganze hat sich als einfacher und schlimmer erwiesen, als ich dachte«, unterbrach ihn Chief. »Hör zu, Jegor. Erstens: Lass lieber die Finger von der Sache. Zweitens: Wenn du dich trotzdem einmischen willst, komm morgen um Punkt sieben ins Almasny; da wirst du jemanden treffen, von dem du die nötigen Informationen bekommst; dieser Jemand ist von der Staatssicherheit, der erzählt dir keinen Blödsinn; du bist ihm nichts schuldig, darum kümmere ich mich. Drittens: Lass lieber die Finger von der Sache.« - »Und wie erkenne ich den Mann?« - »Die betreffende Person wird dich erkennen; du musst nur pünktlich da sein und dich an einen Tisch setzen. Komm allein. Und zieh dich ein bisschen anständig an, du läufst nämlich rum wie ... du weißt schon, wie wer. Tschüs«, verabschiedete sich Igor Fjodorowitsch. »Warte«, rief Jegor, »Igor, was kann ich, wie kann ich ... Wie ... Jedenfalls, ich stehe in deiner Schuld.« - »Tschüs«, verabschiedete sich Chief noch einmal.
31
Jegor erschien Punkt sieben im Almasny. Er hatte sich kaum gesetzt und noch nicht einmal die aus Hochglanzmagazinen jedem vage bekannten Personen betrachtet, die am Nebentisch knackige Eisberg- und Gartensalatvariationen verzehrten, als von der Eingangstür ein Rollstuhl auf ihn zukam. Darin ein sehr dünner, langgesichtiger und langarmiger Mann um die fünfunddreißig, der in ein vaterländisches Trikolore-Plaid gehüllt war. Er war vollkommen reglos, seine erstaunten schwarzen Augen zwinkerten nicht; er erinnerte an einen ausgetrockneten Saksaul-Strauch.
Der Rollstuhl bremste hart neben Jegor, die schöne Dame, die ihn geschoben und gestoppt hatte, sagte:
»Guten Tag, Jegor. Ich bin Hauptmann Warchola.«
Sie trug eine umwerfende Uniform eines Offiziers der Grenztruppen, die ihr ausgezeichnet stand und vermutlich eine Maßanfertigung war, und zwar, nach der einzigartig perfekten Silhouette und den charakteristischen perfekten Nähten zu urteilen, von Yves Saint Laurent, mindestens. Schicke Schulterstücke, die Sterne Juwelier-Arbeit, unauffällig, aber teuer, Platin, von keinem x-beliebigen Militärausstatter und nicht einmal Gold, nein, mit Sicherheit Platin. Die Militärs kleideten sich dank der unsichtbaren Hand des Marktes überhaupt recht gut, waren unter den Bedingungen der Demokratie erstaunlich schick geworden und offenbarten sogar einen passablen Geschmack. Die glanzvolle Amazone setzte sich unaufgefordert auf einen vom Kellner herangeschobenen Stuhl, drehte den Invaliden mit der wächsernen Fassade eines toten Körpers zu sich herum und leuchtete Jegor wie bei einem Verhör direkt ins Gesicht - mit ihrer blendend heißen Schönheit. Es war Sarah. Er konnte es nicht glauben, blinzelte, wischte sich mit einer Serviette die nasse Stirn ab, sah und begriff aber dennoch - es war Sarah.
»Du bist Warchola? Du bist Hauptmann der Staatssicherheit? Was für ein Blödsinn! Sarah, hör auf, gehen wir zu mir, machen wir, was wir immer zusammen machen, ich rufe gleich Chief an, mir ist nicht nach Scherzen zumute. Und wer ist dieser Leichnam auf Rädern? Du hast mich also die ganze Zeit belogen, du bist doch ein Aas. Du hast mich bespitzelt, für Chief oder für deine Firma.« Jegor hätte ohne Pause immer weiter gewettert, doch Sarah unterbrach ihn.
»Das ist kein Leichnam. Das ist mein Mann. Abdallah. Er ist jetzt Bürger Russlands, sogar mit offiziellem Heldentitel. Er kommt aus dem Jemen, er hat im Süden gegen uns gekämpft. Ich habe ihn gefangen genommen und abgeworben. Wir haben geheiratet. Dann kämpfte er auf unserer Seite. Er wurde verwundet, schwer verwundet. Nun ist er so. Er spürt nichts, spricht nicht, hört nichts, sieht nichts. Er weint nur manchmal. Ich hatte heute niemanden, der bei ihm bleiben konnte, darum habe ich ihn mitgebracht. Er wird nicht stören. Bringen Sie mir einen Saft oder irgendwas aus Ananas, stehen Sie hier nicht so stumm herum. Wir brauchen keine Karte. Ich bin nicht Sarah. Ich bin wirklich
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