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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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nicht dazu, etwas zu sagen, entdeckte jedoch, dass Vera, so heißt Sawins Frau, bei mir schlief, an mich geschmiegt, das Gesicht an meiner Schulter. Ich erstarrte zur Salzsäule, sofern man das im Liegen kann.
    Sawin sah mich nicht an. Das heißt uns. Er ging hinaus. Sein Gesicht war ohne jede Farbe. Genauer, es hatte eine Farbe, aber eine, die es besser nicht gehabt hätte.
    Ich sprang auf und rannte Sawin nach. Die Sache klären. Auch seine Frau wachte auf. Und begann zu erklären. Allgemeine Verwirrung.
    Sawin begriff mehr oder weniger, dass niemand Schuld hatte.
    Ihm fiel ein, dass Vera letztes Jahr in Sotschi aus dem Bett aufgestanden und wie von Sinnen im Zimmer umhergelaufen war. Am nächsten Morgen erinnerte sie sich an nichts. Mondsüchtig.
    >Ach ja, mondsüchtig<, murmelte Sawin.
    Ich erzählte, dass ich als Kind an etwas Ahnlichem gelitten hatte. Zum Erstaunen meiner Mutter.
    Um das Missverständnis auszubügeln, setzten wir uns zum Frühstück. Das zähe Schweigen wurde immer wieder unterbrochen von hektischen Versuchen aller, allen zu beweisen, dass nichts Besonderes passiert war. Wir lachten unsicher. Ein ziemlich ungemütliches Frühstück. Nach der zweiten Tasse Tee ergriff ich die Flucht.
    Zu Hause schloss ich mich nach einem flüchtigen Streit mit der Nachbarin in meinem Zimmer ein. Ich überlegte, dass das Geschehene mir schmeichelte. Vielleicht hatte sich etwas tief im Inneren von Sawins Frau in mich verliebt. Und sie würde das vielleicht nie erfahren. Nicht einmal von der Existenz jenes Teils von sich, der mich liebte. Und vielleicht ruhte tief in mir auch etwas, das darauf ansprang, nicht auf ihre hübsche Oberfläche, sondern auf jene, in mich verliebte Tiefe.
    Es war Sonntag, ein ermüdender Tag. Ich beschloss, möglichst früh schlafen zu gehen. Ich griff zu einem Band Proust. Das ist mein Lieblingsschlafmittel. Ich tat ein paar Schritte auf Swann zu und schlief ein.
    Ich erwachte tief in der Nacht. Vor Kälte. Der Regen entfaltete eine biblische Macht. Irgendein fixer Noah hatte bestimmt schon ein Boot gebaut.
    Ich trug meinen einzigen Anzug. Er war so durchnässt, dass er mir vorkam wie aus Wasser gewebt.
    Außerdem saß ich auf einer Bank. Auf irgendeinem Boulevard.
    Außerdem saß Vera neben mir. Sie schlief. Ich hatte den Arm um sie gelegt. Sie trug etwas Weißes, vom Regen ganz formlos, das nur mit Mühe als Hochzeitskleid zu identifizieren war.
    Während ich noch nachdachte, erwachte sie. Ich hatte noch immer den Arm um sie gelegt.
    >Anscheinend haben wir es mit einer Hochzeit zu tun<, sagte ich.
    Sie schwieg.
    >Ob wir wohl schon getraut wurden oder noch nicht? Und wo sind die Gäste? Schon gegangen oder noch nicht gekommen?<, sagte ich.
    >Ich liebe dich nicht<, sagte sie.
    >Ich dich auch nicht<, sagte ich.
    >Es ist kalt<, sagte sie.
    >Ich bring dich nach Hause<, sagte ich.
    Vom Gogol-Boulevard, auf dem wir uns befanden, war es ein weiter Weg bis zu ihr nach Hause. Dabei holte ich mir eine schwere Erkältung.«
    Es dämmerte bereits, die Straße war enger und kurviger geworden, die Berge ragten immer höher und dichter auf, bis sie die Straße schließlich ganz versperrten und abschnitten. Struzki hielt an, beide stiegen aus.
    Der legendäre Elbrus strebte vor ihren Füßen jäh gen Himmel und stieß mit seiner blinden sternenfarbenen Spitze beinahe daran. An seinen steilen Wänden klebte ein vage erkennbarer Serpentinenpfad, der anstelle der Straße weiterführte. »Fünftausend.« Jegor hob den Blick und dachte an seinen Schulatlas. Struzki holte einen gelben Koffer aus dem Jeep und schüttete den Inhalt auf die nassen Steine: Knäuel und Haufen von Drähten, in denen sich Lämpchen, Widerstände und Schalter, Antennen und Röhren, Leiterplatten, Lautsprecher, Mikrophone und augenscheinlich sogar ein völlig unpassendes Tachometer verheddert hatten. Struzki hockte sich vor das Sammelsurium, versenkte beide Pfoten darin und fluchte zehn Minuten lang geschäftig, wühlte darin herum, bastelte tastend etwas zusammen. Schließlich begann der Drahthaufen zu knistern, zu pfeifen und zu rauschen wie ein Radio ohne Gehäuse, die Gerätezeiger zitterten, die Lämpchen flackerten wie am Weihnachtsbaum. Struzki lächelte widerwillig, angelte aus dem nun erleuchteten Durcheinander antike Kopfhörer, stopfte sie unter seine Offiziersmütze und schrie dem Haufen unverständliche Wörter zu, mit denen er, der Intonation nach zu urteilen, jemanden rief. Er schrie eine Weile, dann schwieg er und

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