Nahkampf der Giganten
bloßer Anblick gab ihnen Sicherheit, als könne seine Leutseligkeit und das Gefühl, zum selben Schiff zu gehören, ihre Lage völlig ändern.
Drinnen sah er Kapitän Dash an Pomfrets großem Schreibtisch sitzen, den Kopf auf die Arme gesunken.
Er sagte zu Inch: »Warten Sie draußen und halten Sie die Leute beisammen!« Damit schloß er die Tür hinter sich und trat zum Schreibtisch.
Dash rieb sich die Augen und starrte ihn an. »Mein Gott, ich träume wohl noch!« Unsicher stand er auf. »Freue mich, daß Sie da sind.«
Bolitho setzte sich auf die Tischecke. »Ich wäre schon früher gekommen, aber…« Er zuckte die Achseln. Das lag jetzt alles in der Vergangenheit. »Wie schlecht steht es?«
Müde und lustlos schlug Dash auf die große Karte. »Hoffnungslos, Bolitho. Der Feind bekommt jeden Ta g mehr Verstärkung.« Sein Finger zog den Lageplan der Stadt nach. »Unsere Leute sind hier eingeschlossen. Wir mußten die Bergstellung aufgeben, und die Straße auch. Die ganze Front weicht zurück. Morgen kämpfen wir vielleicht schon in den Straßen.« Er tippte auf den südlichen Arm der Bucht. »Wenn sie uns da rausschmeißen, sind wir erledigt. Sobald die Franzosen Artillerie auf dem Landvorsprung haben, können sie in ein paar Stunden unsere Schiffe zu Brennholz schießen. Wir kämen nicht mal aus dem Hafen!«
Bolitho musterte Dash scharf. Irgendwie hatte er sich verändert.
»Und was tut der Admiral?« fragte er leise.
Dash fuhr zusammen und erbleichte. »Sir Edmund ist krank«, antwortete er. »Ich dachte, Sie wissen das.«
»Ja, Leach hat mir so was angedeutet.« Er sah, daß Dashs Hände nervös zuckten. »Aber was ist nun wirklich mit ihm?«
Dash ging ans Fenster. »Eine Brigg brachte Depeschen aus To ulon. Die ganze Geschichte ist aus und vorbei. Lord Hood hatte Order gegeben, den Hafen zu räumen und vorher alle Hafenanlagen zu zerstören.« Er duckte sich unwillkürlich, denn ein naher Einschlag ließ weißen Staub von der Decke rieseln. Dann fuhr er wütend fort: »Als ob es hier noch viel zu zerstören gäbe!«
Bolithos Bauchmuskeln krampften sich zusammen. »Und To ulon?« fragte er. Aber er konnte sich die Antwort schon denken.
Dash zuckte heftig die Achseln. »Da steht es genauso schlecht. Innerhalb der nächsten Wochen räumen wir Toulon.«
Bolitho stand auf und verschränkte die Hände auf dem Rücken.
»Aber was hat nun der Admiral gesagt?«
»Ich dachte, er wird verrückt.« Dash wandte sich ab, so daß sein Gesicht im Schatten lag. »Er tobte und raste, beschimpfte alle, mich eingeschlossen, und dann zog er sich in sein Zimmer zurück.«
»Wann war das?« Bolitho wußte, daß er das Schlimmste noch nicht gehört hatte.
»Vor zwei Wochen.«
»Zwei Wochen!« Bolitho starrte Dash entsetzt an. »Und was, um Gottes willen, haben
Sie
in der Zeit unternommen?«
Dash wurde rot. »Sie müssen das von meinem Standpunkt aus betrachten, Bolitho. Ich bin kein Aristokrat, das wissen Sie. Ich habe mich mit Zähnen und Klauen vom Unterdeck nach oben gekämpft. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaubte nie, daß ich so weit kommen würde.« Seine Stimme wurde hart. »Aber nun, da ich es geschafft habe, werde ich auch alles tun, um meinen Rang zu behalten.«
Kalt entgegnete Bolitho: »Ob es Ihnen nun paßt oder nicht – Sie haben hier den Oberbefehl, solange Pomfret krank ist.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie müssen handeln! Sie haben gar keine andere Möglichkeit!«
Dash hob die Arme. »Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen. Was würde Sir Edmund mit mir anstellen? Und was wü rde man in England dazu sagen?«
Bolitho musterte ihn sekundenlang. In der Schlacht hatte Dash bestimmt vor nichts und niemandem Angst. Mit halbzerschossenem Schiff und gegen jede Übermacht hätte er bis zum bitteren Ende gekämpft. Aber einer Situation wie dieser war er nicht gewachsen.
Dann dachte er an die zerschossene Stadt, an Männer wie Fowler, die damals den ersten Sieg ermöglicht hatten. Schonungslos erwiderte er: »Glauben Sie tatsächlich, Ihre Karriere oder sogar Ihr Leben seien so wichtig?« Er sah, daß Dash sich wie unter einem Schlag krümmte, fuhr aber fort: »Denken Sie an die Menschen, die von Ihnen abhängig sind – und dann sagen Sie mir, daß Sie immer noch zögern!«
Gepreßt entgegnete Dash: »Ich habe nach Ihnen geschickt, weil Sie Bescheid wissen sollten…«
»Ich weiß schon, wozu Sie mich brauchen, Captain Dash!« Bolitho blickte ihm über die staubbedeckte Karte
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