Nahkampf der Giganten
von Frankreich von seinem eigenen Volke hingerichtet worden war; und ehe man den Schock verdaut hatte, erklärte der neue französische Nationalkonvent den Krieg. Es war, als sei die gesamte französische Nation toll geworden und habe das Land aus der Bahn der Vernunft geworfen. Selbst Spanien und Holland, die ehemaligen Verbündeten, hatten ebenfalls Kriegserklärungen empfangen und warteten jetzt wie England auf den ersten wirklichen Zusammenstoß.
Und so hatte die alte
Hyperion
fast ohne Ruhepause wieder Segel gesetzt. Erst nach Brest, und dann, wie zu erwarten, als Mitglied der Kanalflotte, welche die Blockade aufrechterhielt und die französischen Schiffe abpaßte, die dort unter den Kanonen der Küstenbatterien Schutz suchten.
Bolitho hatte sich weiter mit der Rekrutenanwerbung herumgeplagt. Die Verzweiflung darüber, daß er kein direktes Kommando bekam, trug nur dazu bei, seine Gesundheit aufs neue zu schwächen.
Endlich, als der Winter dem Frühling wich, hatte er Order erhalten, sich nach Spithead zu begeben und dort Passage nach Gibraltar zu nehmen. Und nun saß er in der Gig und tastete nach dem dicken Umschlag in seiner Brusttasche. Er gab ihm das unumschränkte Kommando über das himmelhohe Schiff da vorn, gegen das alles andere klein und bedeutungslos wurde. Schon vernahm er die schrillen Bootsmannspfeifen, das Tappen nackter Füße, das Klirren der Musketen – sein Schiff bereitete sich vor, ihn zu empfangen. Hatten sie schon auf ihn gewartet? Würden sie seine Ankunft mit Freude oder Unlust begrüßen?
Es war ein großer Unterschied, ob man das Kommando nach einem Kapitän übernahm, der befördert wurde oder in Pension ging, oder ob man eines toten Mannes Schuhe anzog.
Die Gig rundete den schweren Bug, und Bolitho blickte hoch zu der glänzenden Galionsfigur. Das ganze Schiff war neu gestrichen worden, und auch ihre Vergoldung sah frisch und sauber aus. Eine Kleinigkeit nur, aber sie zeigte, daß das Schiff gut instandgehalten wurde. Der Sonnengott Hyperion stieß sein Dreizack vor, und seine Krone war die aufgehende Sonne selbst. Nur die beiden starren blauen Augen unterbrachen das gleichmäßige Gold. Wie viele Feinde des Königs mochten wohl durch Gischt und Pulverqualm in dieses starre Goldantlitz geblickt und Minuten später den Tod gefunden haben?
Bolitho vernahm ein erschrecktes Stöhnen, wandte den Kopf und sah Midshipman Seton auf die turmhohen Masten mit den festgemachten Segeln starren. Angst füllte sein Gesicht, seine Hand war verkrampft wie eine Vogelklaue, als er nach dem Dollbord der Gig faßte. Ruhig fragte Bolitho: »Wie alt sind Sie, Mr. Seton?«
Der Junge riß die Augen von dem Schiff los und murmelte: »S… Sechzehn, Sir.« Ernsthaft nickte Bolitho. »Nun, ich war ungefähr ebenso alt, da kam ich auf ein Schiff, das war ziemlich genauso wie dieses hier. Und im selben Jahr wurde die
Hyperion
gebaut.« Ein knappes Lächeln. »Wie Sie sehen, Mr. Seton, leben wir alle beide noch.«
Er sah an dem bleichen Gesicht des Midshipman, wie die Gemütsbewegungen einander jagten, und war froh, nicht erwähnt zu haben, daß es sich damals um sein zweites Schiff gehandelt hatte. Denn Bolitho war schon seit seinem zwölften Jahr zur See gefahren. Warum mochte der Vater Seton wohl so lange gewartet haben, bis er seinen Sohn zur Marine schickte?
Er reckte sich hoch. Das Boot schoß zur Fallreepspforte, eine Stimme ertönte: »Boot ahoi?,« und Allday rief durch die hohlen Hände:
»Hyperion!«
Nun bestand kein Zweifel mehr, falls dem je so gewesen war. Jeder einzelne Mann an Bord wußte nun, daß der straffe Offizier mit dem goldbetreßten Hut sein neuer Kommandant war und nächst Gott der absolute Herrscher über alle auf diesem Schiff. Alle waren sie in seine Hand gegeben – er konnte jedermann auspeitschen oder hängen lassen, ebensogut aber auch Leistungen belohnen und Schwächen anprangern.
Nach dem Kommando »Riemen hoch!« faßte der Bootsmann mit dem Haken in die Großrüsten, und Bolitho brauchte seine ganze Selbstdisziplin, um reglos im Heck sitzenzubleiben. Seltsamerweise war es der seekranke Midshipman, der den Zauber brach. Er machte Miene, an der Bordwand hochzuklettern; aber Allday knurrte: »Noch nicht, junger Herr!«, und zog ihn auf seinen Sitz zurück.
»Der Ranghöchste geht zuletzt ins Boot, aber zuerst hinaus, kapiert?«
Bolitho starrte auf die beiden und vergaß sie sofort. Er drückte das Gehänge fest an den Schenkel, denn einmal hatte er erlebt, wie ein
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