Nahkampf der Giganten
zurannte.
Keuchend erreichte er sie, preßte sich gegen die mächtigen Steinblöcke und wartete, bis die anderen bei ihm waren. Es war kaum zu glauben, aber bis jetzt hatte sie tatsächlich noch keiner gesehen. Und von hier sah es so aus, als wären sie allein auf der Insel; denn die breite Silhouette des Turmes verbarg Kanonen und Tore, Gräben und Soldaten.
Er gab ein Zeichen mit dem Degen und ging längs der Mauer vor.
Der Torbogen wurde durch die Rundung des Turmes zunächst verdeckt, und als er ihn schließlich erreichte, war er fast ebenso überrascht wie die beiden französischen Soldaten, die dort auf ihren Musketen lehnten. Der eine ging aufs Knie und legte seine Muskete an; der andere, aufgeweckter oder nicht ganz so tapfer, drehte sich um und floh durch die schmale Öffnung ins Innere. Bolitho schlug die Muskete beiseite und rannte hinter ihm her. Ohne es recht zur Kenntnis zu nehmen, hörte er den furchtbaren Schrei des Postens, den ein Entermesser niederhieb, ehe er feuern konnte. Sekundenlang war er geblendet, als er in das kühle Dunkel des Turmes stürzte; doch als er einen Moment verhielt, um sich zu orientieren, sah er eine steile Wendeltreppe und hörte von oben laute Alarmrufe.
»Mr. Tomlin!« schrie er, »blockieren Sie das Tor!«
Die hereinhastenden Matrosen rannten ihn fast um. »Dann das untere Stockwerk durchsuchen!« Er wandte sich um und rannte auf die Wendeltreppe zu, halb betäubt vom Widerhall der Rufe und des wilden Gebrülls, als die erste Angst der Männer in Raserei umschlug.
Hinter einer Treppenbiegung krachte ein Schuß hervor, und knapp unter Bolitho schrie ein Matrose auf und stürzte rücklings in die Nachfolgenden. Eine kleine Tür zu einem engen Gang stand offen, und Bolitho erblickte einen französischen Soldaten, der mit gefälltem Bajonett im Laufschritt angriff. Bolitho konnte die Treppe weder hinauf noch hinunter; als das Bajonett schon dicht vor seiner Brust war, blitzte Alldays Enterbeil im Halbdunkel auf, und der Soldat fiel, Kopf voran, hinter dem toten Matrosen auf die Stufen.
Mit Abscheu starrte Bolitho auf die zerschmetterte Muskete zu seinen Füßen nieder. Eine abgetrennte Hand hielt nach wie vor den Kolben umklammert, als sei sie trotz Alldays wildem Axthieb noch lebendig.
Gepreßt sagte er: »Weiter, Jungs! Noch zwei Stockwerke!« Er schwenkte den Degen, und in seinem Kopf schwirrte der gleiche krankhafte Wahnsinn, der seine Männer erfaßt hatte.
Aber an der letzten Treppenwindung stießen sie auf eine dichte Linie Soldaten, deren Musketen ohne zu wanken auf die andrängende Masse der Matrosen gerichtet waren, und deren aufgepflanzte Bajonette mörderisch glitzerten. Jemand schrie einen Befehl, und ihre ganze Welt explodierte in Musketenfeuer. Bolitho wurde von fallenden Leibern beiseitegestoßen, in seinen Ohren gellten Schreie und Flüche, als die vordere Reihe der Soldaten niederkniete und nun das zweite Glied auf kürzeste Entfernung feuerte. Die steine rnen Stufen wurden schlüpfrig von Blut; rechts und links stießen und drängten sich die Männer, um dem Gemetzel zu entfliehen. Der Schwung des Angriffs, Bolitho wußte es, war gebrochen. Gewiß, sie hatten die Festung unbemerkt erreicht, und das hatte sie in ein irres Hochgefühl versetzt, aber nun war es in kopflose Panik umgeschlagen. Er sah die Schulter an Schulter stehenden Soldaten, die jetzt die Treppe herunterkamen; ihre Bajonette waren bereit, das Vernichtungswerk zu vollenden.
Mit einem Schrei, der wie verzweifeltes Aufschluchzen klang, warf sich Bolitho über die letzten Stufen hinauf; sein Degen schlug die vordersten beiden Bajonette beiseite, die nach seinem zerfetzten Hemd stießen, und mit aller Kraft hieb er auf die Männer des zwe iten Gliedes ein. Die erschrockenen Soldaten standen zu dicht, um ihre langen Musketen voll ausnützen zu können, und er sah im Gesicht eines Mannes, den sein Degen wie ein Puppe zur Seite fegte, eine dunkelrote Wunde aufklaffen. Er fühlte, wie sie taumelten und gegen ihn stießen, ja sogar ihren warmen Schweiß, als sie wie eine lebendige Flutwelle über die Steinstufen quollen. Jemand stieß ihm einen Gewehrkolben ins Kreuz, und mit schmerzverdunkeltem Blick sah er einen barhäuptigen Offizier, der verzerrten Gesichts seine Pistole im Anschlag hielt. Mit einer letzten verzwe ifelten Anstrengung riß Bolitho den Degen hoch und führte einen so starken Hieb nach dem Mann, daß er seine Schulter im Aufprall erzittern fühlte. Die Klinge fuhr dem
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