Nahkampf der Giganten
Gesicht und hängendem Schnurrbart, der in seiner schlechtsitzenden Uniform und den schweren Stiefeln keineswegs soldatisch wirkte. Bolitho entließ Leutnant Shanks, der den Gefangenen an Bord gebracht hatte, und forderte dann den Franzosen auf, am Tisch Platz zu nehmen. Er sah dessen gierigen Blick, als er zwei Gläser Wein einschenkte; doch ließ er sich nicht von dem wenig imponierenden Äußeren des Offiziers täuschen. Immerhin hatte dieser die Hauptbatterie der Festung befehligt. Seiner Vorsorge, seinem Können und seiner Sorgfalt war es zuzuschreiben gewesen, daß die großen, aber uralten Kanonen des Forts das spanische Flaggschiff mit seinen achtzig Geschützen innerhalb weniger Minuten in ein flammendes Inferno verwandelt hatten, bis schließlich das Pulvermagazin in die Luft flog und der Sieg vollkommen war. Von den etwa tausend spanischen Matrosen und Seesoldaten hatten weniger als ein Dutzend die Katastrophe überlebt. Diese waren von der trägen Strömung an die gegenüberliegende Seite des Naturhafens getrieben worden, und nur das hatte sie vor der endgültigen Vernichtung durch die französischen Scharfschützen gerettet.
Charlois hob sein Glas und sagte stockend:
»Your health, Captain!«
Dann goß er den Wein auf einen Zug hinunter.
Bolitho blickte ihn ernsthaft an. »Sie sprechen gut englisch.« Zeitverschwendung mit leeren Redensarten war ihm zuwider; doch wußte er, daß so etwas manchmal nötig war, damit jeder die Stärken und Schwächen des anderen abschätzen konnte.
Der Offizier breitete die plumpen Hände aus. »Ich war im letzten Krieg Gefangener in England, in einer Festung in Deal.«
»Und warum wollen Sie mich sprechen, Lieutenant? Haben Sie Schwierigkeiten mit Ihren Männern?«
Der Franzose biß sich auf die Lippen und warf ein paar rasche Blicke umher. Dann senkte er die Stimme und erwiderte: »Ich habe über unsere Zwangslage nachgedacht, Captain.« Er schien zu einem Entschluß gekommen zu sein. »Ihre und meine. Sie haben kein Wasser für Ihre Leute und können nicht viel länger bleiben,
n’estce pas!«
Bolitho ließ sich nichts anmerken. »Wenn Sie nur deshalb gekommen sind, um mir das zu sagen, war Ihre Fahrt überflüssig,
m’sieu.«
Charlois schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, daß ich Sie verletzt habe, Captain. Aber ich werde langsam alt und bin über die natürliche Vorsicht eines Offiziers, der noch Karriere machen möchte, hinaus.« Er lächelte, als dächte er an ein Geheimnis. »Aber ich muß mich auf Ihr Wort als Gentleman verlassen können, daß alles, was ich Ihnen jetzt sage, strikt unter uns bleibt. Ich habe Frau und Kinder in St. Clar und wünsche nicht, daß sie meinetwegen leiden.«
Ehe Bolitho antworten konnte, fuhr er fort: »Sie sind sich wohl nicht klar darüber, daß meine Soldaten nicht zur regulären Armee gehören, eh? Sie sind Milizen, zum größten Teil in St. Clar selbst rekrutiert und alle miteinander aufgewachsen. Wir sind einfache Leute und wollten weder Krieg noch Revolution; aber wir mußten damit fertig werden, so gut es ging. Mit dem Garnisonskommandeur war es etwas anderes – der war Berufsoffizier.« Müde hob er die Schultern. »Aber er ist im Kampf gefallen.«
Bolitho legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger, um seine wachsende Ungeduld zu meistern. »Was wollen Sie mir eigentlich erzählen?«
Charlois senkte die Lider. »Es geht die Rede, daß Ihr Lord Hood die Stadt Toulon attackieren will. Die dortige Bevölkerung hat sehr gemischte Gefühle, weil der König bei der Revolution den Tod gefunden hat.« Er holte tief Atem. »Nun, Captain, in meiner kleinen Heimatstadt denkt man genauso.«
Bolitho erhob sich und trat zu der Seekarte, die auf dem Eßtisch ausgebreitet lag. Er wußte, was dieses Bekenntnis den französischen Offizier gekostet hatte, und was es für seine Zukunft bedeuten mußte, wenn durchsickerte, daß er – wenn auch nur in Worten – sein Vaterland an einen englischen Kapitän verraten hatte. Endlich fragte er: »Wieso können Sie dessen so sicher sein?«
»Ich habe Anzeichen dafür gesehen«, entgegnete Charlois melancholisch. »St. Clar ist eine Kleinstadt, genau wie hundert andere auch. Wir haben ein paar Weinberge, ein bißchen Fischerei, ein bißchen Küstenhandel. Bis zur Revolution gingen die Geschäfte langsam, aber zufriedenstellend. Doch diese Unruhe in Toulon und weiter östlich brachte alles durcheinander. Eben jetzt schickt die Regierung eine Armee, um die Royalisten ein für
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