Nahkampf der Giganten
dessen Augen plötzlich zu glänzen begannen, beugte sich mühsam vor. »Hat mich ganz verrückt gemacht, Sir. Dieses Geld…
Ich
hab’s genommen.« Mit schlaffem Mund sank er gegen die Bordwand. »Quarme hatte nichts damit zu tun. Ich brauchte es unbedingt, wissen Sie… Unbedingt!«
Traurig blickte Bolitho ihn an. Es spielte gar keine Rolle mehr, wer das Geld genommen hatte. Quarme war tot, und Dalby würde ihm schon bald folgen.
»Schon gut, Mr. Dalby. Das ist jetzt vorbei.«
Dalby erschauerte heftig; plötzlich troffen ihm Brust und Arme vor Schweiß. Doch als Bolitho ihn berührte, fühlte er sich eiskalt und klamm an, schon wie ein Leichnam.
Undeutlich murmelte er: »Hatte Schulden. Alles verspielt.« Er starrte Bolitho an, doch seine Augen fanden kein rechtes Ziel mehr.
»Ich hätt’s Ihnen gesagt, aber…«
Hinter Bolitho schrie ein Mann auf. Der Ton drang Bolitho direkt ins Hirn, aber er beugte sich vor, um zu hören, was Dalby ihm noch sagen wollte. Diesem strömte das Blut jetzt stärker aus dem Mund; verzweifelt blickte Bolitho sich um und rief einen Midshipman an, der sich über einem nackten bandagierten Verwundeten beugte.
»He – bringen Sie mir eine frische Binde!«
Der Midshipman wandte sich um und eilte herzu, eine saubere Binde in der ausgestreckten Hand. Entsetzt und überrascht starrte Bolitho hoch. »Aber um Gottes willen, Miss Seton, was machen Sie hier?«
Das Mädchen antwortete nicht gleich, sondern kniete sich neben Dalby hin und tupfte ihm Blut und Speichel von Gesicht und Brust. Selbst noch im gelben Laternenschein schien Bolithos Irrtum begreiflich: In Uniformrock und weißer Kniehose, das starke kastanienbraune Haar im Nacken zusammengebunden, war Cheney Seton leicht für einen Jüngling zu halten.
Dalby starrte sie an und versuchte zu lächeln. »Kein Kanone nboot, Miss. ›Linienschiff‹ heißt das bei der Marine…« Sein Kopf sank zur Seite, und er war tot.
Bolitho sagte: »Ich hatte doch angeordnet, daß Sie bis auf weiteres in der Fähnrichsmesse bleiben sollten!« Er fühlte sich auf einmal nicht mehr erschöpft und verzweifelt, sondern eher ärgerlich.
»Hier ist keineswegs der rechte Ort für Sie!« Ihre Uniform und das am Hals offene Hemd waren blutbefleckt.
Ernsthaft, betroffen und anteilnehmend blickte sie ihm ins Gesicht. »Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen. Auf Jamaika habe ich viele Menschen sterben sehen.« Sie wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Als das Gefecht anfing, wollte ich helfen.« Sie blickte auf Dalby nieder. »Ich mußte einfach helfen.« Dann sah sie wieder Bolitho an, und ihre Augen hatten einen fast flehenden Ausdruck. »Verstehen Sie das nicht?« fragte sie, streckte die Hand aus und faßte seinen Ärmel. »Bitte seien Sie nicht böse.« Lange sah sich Bolitho auf dem wüsten Orlopdeck um. Die nackten Körper der Verwundeten und Toten lagen durcheinander, wie makabre Skulpturen, und Rowlstone operierte an seinem Tisch mit einer Selbstverständlichkeit, als existiere für ihn nur, was vor ihm im schwankenden Lichtkreis der Laterne lag. Ruhig entgegnete Bolitho: »Ich bin nicht böse. Wahrscheinlich hatte ich nur Angst um Sie. Jetzt haben Sie mich beschämt.« Er wollte aufstehen, war aber zu keiner Bewegung fähig.
Sie antwortete: »Ich horchte auf den Kanonendonner und fühlte das Schiff beben, als würde es auseinandergerissen. Und die ganze Zeit dachte ich an Sie dort oben – so ungeschützt.«
Bolitho beobachtete schweigend ihre ausdrucksvollen Hände, das Heben und Senken ihrer Brust, während sie das Furchtbare aufs neue durchlebte.
»Da wollte ich diesen Männern hier unten helfen«, fuhr sie fort.
»Ich dachte, sie würden es mir verübeln, daß ich am Leben und noch heil war.« Sie senkte die Augen, und er sah ihre Lippen zittern. »Geflucht und geschimpft haben sie weiß Gott genug, aber keiner hat sich beklagt, nicht einer!« Wieder sah sie ihm in die Augen, diesmal beinahe mit Stolz. »Und als sie hörten, Sie würden herunterkommen, haben sie tatsächlich versucht, Hurra zu rufen!« Bolitho stand auf und half Cheney auf die Füße. Sie weinte jetzt, fast tränenlos, und widerstrebte nicht, als er sie durch die tiefhängenden Laternen zum Niedergang führte.
An Deck überraschte es ihn, daß die Sonne immer noch so hell schien, daß die Schiffe weitersegelten, unbekümmert um das, was achteraus lag, und um die Männer, die sie trugen. Er schritt über das Achterdeck mit seinen großen roten
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