Naios Begierde (Hüter der Elemente) (German Edition)
dann war da dieses neue Gefühl. Angst vor dem, was sie gesehen hatte, was er getan hatte, was er geworden war. Enttäuschung, weil er sie betrogen hatte, indem er ihr seine wahre Natur verschwiegen hatte. Was war eigentlich seine wahre Natur? Was wusste sie von diesem Mann, dem sie sich voller Vertrauen hingegeben hatte? Nichts! Sie wusste gar nichts von ihm. Wahrscheinlich war nicht einmal sein Name wahr.
„Geh weg!“, schrie sie ihn an.
Tränen liefen über ihre Wangen. Wie hatte sie nur so dumm sein können. Das hatte sie davon, dass sie gegen ihr eigenes, oberstes Prinzip verstoßen hatte: Lasse niemals jemand anderen dein Leben kontrollieren!
„Michelle. Ich weiß, du bist aufgeregt. Es war ein furchtbares Erlebnis und du hast viel durchgemacht. Aber jetzt ist alles gut.“
„Gut?“, rief sie aufgeregt. „Gut? Du … du bist irgendein Monster. Ich … ich hab dir vertraut. Ich habe dich ge...“ Sie stockte und brach in Schluchzen aus.
Sie sah nicht den verletzten Ausdruck auf Naios Gesicht. Alles, was sie sehen konnte, war ein Monster. Ein Mann, der sie betrogen hatte. Sie hatte kein Problem mit seinem Fischschwanz. Wenn sie es gewusst hätte, dann hätte es sie wahrscheinlich fasziniert. Doch diese furchtbaren Zähne, seine weiß glühenden Augen und vor allem seine Lügen. Hätte er es ihr jemals erzählt? Wie wäre ihre Beziehung weitergegangen, wäre dieser Vorfall mit den Haien nicht passiert?
„Vielleicht solltest du erst einmal etwas essen gehen, Naios. Du hast dich die ganze Zeit nur um sie gekümmert. Jetzt übernehme ich mal für eine Weile“, mischte sich Sue ein.
Naios nickte und erhob sich, dann verließ er wortlos und ohne sich umzudrehen den Raum.
Sue kam näher und setzte sich neben Michelle auf das Bett.
„Wie fühlst du dich, Herzchen?“
Michelle schluchzte. Sie konnte nicht antworten und sie wollte im Moment auch gar nicht reden. Sie fühlte sich so elend, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie hatte das Gefühl, gerade ein Teil ihrer Seele verloren zu haben.
„Schon gut. Du brauchst jetzt nicht reden, wenn du nicht willst. Ich verstehe, wenn du jetzt aufgeregt bist. Naios versteht das auch. Er hat ...“
„Ich will nicht über ihn reden“, schluchzte Michelle.
„Okay, aber ich hoffe, dass du ihm trotzdem noch eine Chance gibst, wenn du dich etwas beruhigt und nachgedacht hast. Er ist ein guter Mann.“
„Er ist kein Mann. Er ist ein … ein Monster.“
„Ich sag es nicht gern, weil ich dich gern habe, aber du bist jetzt ungerecht. Ohne Naios wärst du jetzt tot. Er hat dir drei Mal das Leben gerettet. Erst hat er deine inneren Verletzungen nach dem Unfall geheilt, dann hat er sich für dich in ein Haifischbecken gestürzt und dich vor ihnen gerettet und zu guter Letzt hat er deine lebensgefährliche arterielle Blutung gestoppt und deine Bein besser geheilt, als jeder Arzt es gekonnt hätte.“
Irgendwo tief in ihr drinnen wusste Michelle, dass Sue recht hatte, doch sie konnte ihm nicht verzeihen, dass er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte sich für etwas ausgegeben, was er nicht war.
***
Naios setzte sich vor dem Haus auf die Stufen und vergrub den Kopf in den Händen. Die Zurückweisung von Michelle tat weh. Er konnte verstehen, dass sie ein wenig aufgeregt war und sie hatte viel durchgemacht, doch dass sie ein Monster in ihm sah, verletzte ihn zutiefst.
Einige Minuten später öffnete sich die Tür hinter ihm und er hörte Schritte, die sich ihm näherten.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte Sue.
Er nickte nur, ohne aufzublicken.
Er spürte mehr, als dass er sah, wie Sue sich neben ihn setzte und ihren Arm um seine Schulter legte. Tränen liefen über seine Wangen und er schämte sich. Nie zuvor hatte er in Anwesenheit einer Frau Schwäche gezeigt. Er wandte den Kopf ab und versuchte verkrampft, sein Schluchzen zu unterdrücken.
„Es ist ein Ammenmärchen, dass harte Kerle nicht weinen. Du brauchst deine Tränen nicht zu verstecken. Ich sehe doch, was los ist. Du liebst sie. Und sie liebt dich. Doch da sind ein paar Dinge nicht ganz ideal verlaufen und Michelle muss erst einmal damit klarkommen. Ich glaube nicht, dass sie sich dir für immer verschließen wird. Gib ihr Zeit. In ein paar Wochen hat sie die ganze Sache verdaut und sie wird einsehen, dass sie dir unrecht getan hat. Sie ...“
„Ich habe nicht so viel Zeit“, unterbrach er sie. „In zwei Wochen muss ich sie in einer speziellen Zeremonie zu meiner Gefährtin nehmen
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