Namibische Nächte (German Edition)
die Diele. »Du meine Güte«, sagte sie, während sie Vanessa für einen kurzen Moment entgeistert anstarrte.
»Ist nichts«, murmelte Vanessa mühsam. »Ich gehe . . . in meine . . . Hütte.« Sie versuchte aufzustehen.
»Ganz sicher nicht.« Energisch trat Isolde auf sie zu. »Du hast einen Sonnenstich . . . und Verbrennungen.« Ihr Blick überflog schnell Vanessas Gestalt. »Ich kann dich notdürftig versorgen, aber ein Arzt bin ich nicht. Du musst ins Krankenhaus.«
Kians Augenbrauen, die ohnehin schon zusammenzustoßen drohten, zogen sich noch mehr zusammen. »Ich wollte eigentlich zum Posten, um nach den Rindern zu sehen, aber dann werde ich Johannes wohl besser sagen, er soll den Bakkie für einen Krankentransport vorbereiten.«
»Tu das«, nickte Isolde. »Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten.«
Kaum hatten beide die Diele wieder verlassen, huschte ein dunkler Schatten herein. »Vanessa.« Die flüsternde Stimme sprach den Namen ungewohnt aus.
Vanessa hatte nur noch wenig Kraft, die Augen zu öffnen, sie schienen zugeschwollen zu sein. »Wer ist da?«, wisperte sie mühsam.
»Ich.« Eine kleine Hand legte sich auf ihre.
»Tuhafeni?«
Wahrscheinlich nickte Tuhafeni, aber Vanessa konnte es nicht sehen. Sie fühlte sich blind.
»Meine Großmutter kann dir helfen«, sagte Tuhafeni.
Vanessa schluckte. Alles tat weh. »Ich muss . . . ins Krankenhaus.«
Durch Tuhafenis Hand spürte Vanessa das heftige Kopfschütteln. »Nein. Großmutter sagt, du musst zu ihr kommen.«
Wenn sie gekonnt hätte, hätte Vanessa gelacht. »Wie stellst du dir das vor?«, flüsterte sie schwach. »Ich kann nicht laufen.«
»Mein Onkel trägt dich.«
Ein großer, schwarzer Mann betrat die Diele, hob Vanessa hoch und trug sie hinaus.
Vanessa wollte protestieren, sich wehren, aber sie hatte keine Kraft. Sie fiel in Ohnmacht.
Als sie wieder erwachte, lag sie in einer Hütte auf dem Boden, unter sich eine schmale Matte.
Sie fühlte kaum Schmerzen, und als sie versuchte, die Augen zu öffnen, gelang es. Sie schienen nicht mehr so geschwollen.
Ein rundes, schwarzes Gesicht beugte sich über sie. Es war voller Runzeln. Die krausen Haare waren immer noch schwarz, nur von wenigen grauen Stellen durchzogen, aber die Frau sah uralt aus.
Diese Hütte hatte mit Vanessas Rondavel nicht viel gemeinsam. Es gab offenbar weder Strom noch Wasser, ganz zu schweigen von einer Dusche oder Toilette. Es war nur ein einziger Raum, von zusammengesteckten Ästen umgeben, die die Wände bildeten.
Der Raum war rund, und über Vanessa stießen die Äste zu einer Spitze zusammen, über denen das Dach aus Buschgras thronte. Das war die einzige Gemeinsamkeit mit dem, was Vanessa schon kannte.
Die Frau hielt ein kleines Gefäß an Vanessas Lippen und murmelte etwas in einer unverständlichen Sprache.
Gleich darauf hörte Vanessa Tuhafenis Stimme: »Trinken. Meine Großmutter sagt, du musst das trinken.«
Vanessa öffnete die Lippen, und die alte Frau ließ die Flüssigkeit aus der kleinen Schale in ihren Mund hineinfließen. Es schmeckte komisch, erdig, stark. Kein Geschmack, wie Vanessa ihn kannte. Und obwohl ihr fast schlecht wurde, schluckte sie die Flüssigkeit herunter. Unwillkürlich begann sie zu husten.
»Was . . .?«, flüsterte sie. Es war, als ob ihre Kehle von einem Feuer aufgefressen würde.
Die alte Frau sagte etwas. Ihr Gesicht lächelte nicht.
»Gleich vorbei«, übersetzte Tuhafeni. »Es geht dir gut.«
Vanessa musste zugeben, dass sie sich viel besser fühlte als zuvor – wann? – im Farmhaus.
Wieder sagte die alte Frau etwas, aber es schien weder an Vanessa noch an Tuhafeni gerichtet zu sein. Sie sprach in die Luft und hob ihre Hände, als ob sie Geister beschwörte.
»Großmutter hat Witchcraft«, erklärte Tuhafeni. »Sie heilt dich.«
»Witchcraft?« Vanessa wollte den Kopf schütteln. Es ging irgendwie nicht.
»Du sollst dich nicht bewegen«, übersetzte Tuhafeni wieder das, was ihre Großmutter sagte. »Nur ruhig liegen.«
»Bin ich festgebunden?«, fragte Vanessa erschrocken.
»Nein.« Tuhafeni schüttelte den Kopf. »Großmutter will es nur nicht.«
Obwohl sie sich besser fühlte, hatte Vanessa nicht die Kraft, lange wachzubleiben. Sie sank in eine dumpfe Dämmerung, bekam nur zwischendurch mit, dass sie etwas trank, dass ihr Körper mit irgendetwas bedeckt wurde, ihre Augenlider mit einer Flüssigkeit beträufelt.
Sie wusste nicht, wie lange sie so dalag, ohne sich zu rühren. Es war wie ein unaufhörlicher Traum,
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