Namibische Nächte (German Edition)
fanden.
Sie fühlte, dass Tränen in ihr aufstiegen. Die Erschöpfung durch die Ereignisse dieses Tages hatten ihr alle Kraft geraubt. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, Schwäche überflutete sie, und ein leiser Schluchzer entfloh ihrer Kehle.
»Das Zelt ist fertig.« Kians Stimme schien mit seiner Gestalt plötzlich aus der Luft aufgetaucht zu sein. »N!xau sammelt Feuerholz. Und Mopanewürmer.« Er lachte, als Vanessa zusammenzuckte. »Du musst sie nicht essen, aber er freut sich schon drauf.«
Vanessa legte ihr Gesicht in die Hände und massierte ihre Schläfen, die schmerzhaft pochten, fast, als wäre der Sonnenstich zurückgekehrt. »Ich glaube, ich gehe gleich ins Zelt.« Im selben Moment stutzte sie.
Kian hatte es bemerkt. »Ich schlafe mit N!xau am Feuer. Wie ich gesagt habe. Du hast das Zelt ganz für dich allein.«
»Ich –« Vanessa schluckte. »Du musst nicht draußen schlafen. Das Zelt ist groß genug für zwei.«
»Es ist viel angenehmer, draußen zu schlafen«, sagte Kian. »Mit dem Himmel über sich. Ich brauche kein Zelt.«
Vanessa schaute nach oben. »Du hast Recht«, stimmte sie leise zu. »Es ist wie ein unendliches Zelt. Es ist wundervoll.«
Sie hörte, wie Kian tief Luft holte. »Ja, das ist es«, bestätigte er, fast noch leiser als sie. »Als Junge habe ich hier mit N!xau am Feuer geschlafen und gedacht, wir wären ganz allein auf der Welt.«
Vanessa konnte ihren Blick nicht von den funkelnden Sternen abwenden, die in der vollkommenen Schwärze dieser Nacht fast wie Freunde erschienen, die ihr zublinzelten. »So ist es«, flüsterte sie.
Kian räusperte sich. »Geh ruhig schlafen. N!xau und ich haben uns noch eine Menge zu erzählen. Wir haben uns lange nicht gesehen.«
Sie nickte. Es war gut, dass N!xau da war. Wenn Kian allein da draußen am Feuer gesessen hätte und sie im Zelt, wäre sie sich vielleicht komisch vorgekommen. N!xau war wie eine Gouvernante, die Kian und Vanessa bewachte und sie daran hinderte, Dummheiten zu machen.
Nein, das werde ich nicht noch einmal tun. Vanessa schüttelte den Kopf. Dieser Kuss war ein Fehler, und den werde ich nicht wiederholen. Isolde ist schwanger.
Sie kroch ins Zelt hinein und zog von innen den Reißverschluss zu.
Kaum hatte sie sich hingelegt, war sie auch schon vor Erschöpfung eingeschlafen. Ihr Schlaf war traumlos und tief, bis sie plötzlich hochschreckte. Da war ein Schatten an der Zeltwand! Ein großer Schatten. Er bewegte sich. Es sah aus wie ein Löwe.
Sofort kehrten Bilder aus Filmen zurück, von Riesenkrallen zerfetzte Zeltwände. Ihr Herzschlag setzte beinah aus. Was war mit Kian?
Sie hatte so fest geschlafen. Hatte der Löwe ihn vielleicht schon gefressen? Ihn und N!xau? Es war nichts von ihnen zu hören.
Sie wusste, gegen ein so großes Raubtier bot das Zelt keinen Schutz. Sie war hier drin wie auf dem Präsentierteller, fertig zum Verzehr. Aber wenn sie das Zelt verließ, war es eventuell sogar noch schlimmer. Abgesehen davon, was sie dort vielleicht vorfinden würde.
Sie hörte ein Geräusch von der anderen Seite des Zeltes. Ein Körper lehnte sich schwer dagegen, drückte die Zeltplane ein.
Sie schrie auf.
Im nächsten Moment wurde der Reißverschluss aufgerissen, Kian stürzte herein, die Faust um ein Gewehr gekrallt. »Was ist?« Er schaute sich mit schnellen Blicken um.
»Da . . . da . . . draußen . . .«, konnte Vanessa nur flüstern. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Kian blickte auf die Zeltwand. »Was ist da?«
»Ein . . . ein Löwe.« Vanessas Stimme versagte, als in diesem Moment der Schatten wieder erschien.
Und was tat Kian? Er begann laut zu lachen. Seine Faust um das Gewehr öffnete sich. Er hielt es nur noch locker fest. »Das ist Jock. Sein Schatten wird durch das Feuer vergrößert.« Er hob einen Teil der Plane am Eingang an. »Komm her, Jock. Du hast Vanessa erschreckt.«
Jock kam herein und wedelte. Er sah so freundlich aus, wie ein Hund nur aussehen kann. Er hatte bestimmt niemanden erschrecken wollen.
»Ach, Jock . . .« Vanessa atmete erleichtert aus, obwohl ihr Herz immer noch raste. »Ich hätte wissen müssen, dass du den Löwen verjagst.«
Jock spürte Vanessas freundliche Gefühle für ihn, ging zu ihr und leckte so schnell über ihr Gesicht, dass sie sich nicht rechtzeitig vor seiner langen Zunge in Sicherheit bringen konnte.
Euphorisch vor Erleichterung lachte sie auf, nahm Jocks großen Schädel in ihre Hände und strahlte ihn an. »Ja, du hast Recht. Wir hatten keine
Weitere Kostenlose Bücher