Namibische Nächte (German Edition)
wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Kian. Nicht. Oh nein! Sie robbte schnell zu Kian hinüber.
N!xau nahm das Gewehr, das neben Kian lag, richtete sich auf und schoss.
»Hast du sie erwischt?« Nur schwach kam die Frage von Kians Lippen.
Aber er war nicht tot. Vanessa fühlte die Erleichterung, als ihr ein Stein vom Herzen fiel, und konnte endlich wieder atmen.
Sie schaute auf, und gerade, als sie das tat, raste ein Toyota Hilux 4x4 an ihr vorbei. Hinter dem Steuer saß Boris Kretschmer.
N!xau zielte und traf. Der Hilux schleuderte, fing sich aber wieder und fuhr weiter, nun allerdings nicht mehr der Herde nach, sondern in eine andere Richtung.
N!xau sagte etwas in der Buschmannsprache zu Kian.
»Für diesmal«, brachte Kian mühsam hervor. »Sie haben es nicht erwischt.«
Ein Regen aus Sand und Staub ging auf sie nieder, fast ein Wirbelsturm, den die Tiere auf ihrer Flucht verursacht hatten.
Vanessa versuchte, sich und Kian mit ihrem Körper zu schützen, indem sie sich über ihn warf, aber innerhalb von Sekunden waren sie so mit Sand bedeckt, dass sie sich kaum noch von der Umgebung unterschieden.
Sie richtete sich auf, als der Sandregen nachließ. »Kian . . .« Schnell fuhr sie mit ihren Händen über sein Gesicht, verwischte Sand, Staub und Blut. »Kian . . . bitte . . . sag doch was . . .«
Aber Kian antwortete nicht.
N!xau ließ sich auf einem Knie neben Vanessa nieder, legte eine Hand auf Kians Brust und schaute Vanessa an. Er sagte etwas in seiner Klicksprache.
»Ich verstehe dich nicht, N!xau«, antwortete sie.
N!xau machte eine Geste, die sie dann doch verstand.
»Ja, ich kann fahren«, bestätigte sie nickend. »Aber du musst mir sagen, wohin. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind und wie wir zurückkommen.«
Aus einem kleinen Beutel, den er um den Hals trug, nahm N!xau etwas heraus, presste es in Kians Wunde und band es mit einem Lederband fest.
Er machte erneut eine Geste zum Fahrerhaus hin.
»Ich kann doch nicht –« Vanessa schaute in Kians Gesicht, das sichtbar zusammengefallen war. Er verlor weiterhin Blut. Dickflüssig sickerte es unter ihm hervor. Sie wollte ihn nicht alleinlassen.
N!xau griff an ihre Schulter und sagte etwas zu ihr, wies nach vorn. Dann sprang er von der Ladefläche und schaute sie erwartungsvoll an.
»Kian . . .« Vanessa strich über sein sandbedecktes Haar.
Aber sie hatte keine Wahl. Sie musste ihn zur Farm zurückbringen. Er war schwer verletzt. Wenn sie hierblieb, wenn sie neben ihm saß und seine Hand hielt, half sie ihm nicht.
Sie konnte sich kaum lösen, beugte sich zu ihm hinunter und versuchte, ihn in eine bequemere Position zu bringen, aber er war zu schwer. Gegen ihren Willen riss sie sich mit aller Gewalt los, hauchte einen Kuss auf seine fahlen Lippen, stand auf und sprang von der Ladefläche, stieg in die Kabine und fuhr in die Richtung los, die N!xau ihr anzeigte, indem er vorn auf der Haube saß und sie dirigierte.
Sie konnte nur langsam fahren, weil der schwerfällige Wagen ihr nicht gehorchte – von Servolenkung hatte er wohl noch nie etwas gehört –, und sie versuchte, nicht daran zu denken, was jede Minute mehr, die sie brauchte, für Kian dahinten auf der Ladefläche bedeutete. Sie wollte nicht daran denken, dass vielleicht alle Mühe umsonst war, wenn seine Verletzung –
Nein. Sie biss die Zähne zusammen. Ihr Herz raste, weil pures Adrenalin durch ihren Körper jagte. Sie musste es schaffen. Sie musste einfach!
Es dauerte viel zu lange, bis sie endlich in der Entfernung die Farmhäuser erkennen konnte.
Als es soweit war, glitt N!xau von der Haube herunter. Er bedeutete ihr, dass sie jetzt allein weiterfahren sollte.
Sie nickte. »Danke, N!xau. Ohne dich hätte ich das nie geschafft.« Sie beschleunigte und sah, wie N!xau im Rückspiegel immer kleiner wurde. Eine schmale Gestalt in einem Lendenschurz, die schnell mit der Landschaft verschmolz.
Je näher sie der Farm kam, umso lauter schlug ihr Herz. Wieso konnte das hier keine Autobahn sein? Immer noch musste sie langsam fahren. Sie hatte nicht Kians Muskeln, um das Steuer bei schnellerer Geschwindigkeit zu halten.
Endlich war sie auf dem Hof angekommen, sprang aus dem Wagen, rief laut: »Isolde! Johannes!« und rannte zugleich in die Rezeption.
Isolde kam ihr erstaunt entgegen. »Wie siehst du denn aus?«
Vanessa konnte sich vorstellen, dass sie wie ein Urtier aus dem Busch wirkte, dazu über und über mit Blut bedeckt, aber das war jetzt unwichtig. »Kian . . .«, keuchte
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