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Namibische Nächte (German Edition)

Namibische Nächte (German Edition)

Titel: Namibische Nächte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle van Hoop
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gegen die Wand und atmete tief durch. War das alles wirklich geschehen?
    Wie so oft, wenn man unter großer Anspannung steht, kam der wirkliche Schock erst später. Ihre aufgeputschten Nerven schienen sich mit einem Schlag in Pudding zu verwandeln und Vanessa wie eine Marionette ohne Fäden zurückzulassen. Sie sank zu Boden und krümmte sich in einer Ecke der Dusche zusammen, während das Wasser als warmer Regen über sie floss.
    Bilder schossen wie Blitze durch ihren Kopf. Kian, wie er nackt mit ihr am Feuer lag, N!xau, der daneben stand und ihnen zusah – was hoffentlich nur Einbildung war –, Jock, das Zelt, lachende blaue Augen, die hinter einem Kaffeebecher zu ihr aufschauten, ein Trampeln und Dröhnen, das die Erde erbeben ließ, Sand, Staub, Steine, ein Knall, Blut.
    Sie griff an ihre Stirn. Etwas musste sie dort getroffen haben. Ein rötlicher Schimmer überzog ihre Hand. Während der Fahrt waren ständig kleine Steine auf die Windschutzscheibe geprallt. Da N!xau auf der Haube saß, hatte sie das Fenster heruntergekurbelt, um besser sehen zu können. Bei langsamer Fahrt war nur wenig Sand von außen hereingeweht, sie hatte den Kopf hinausgesteckt. Ihre Sinne waren so betäubt gewesen, so nur auf ein Ziel konzentriert, dass sie vermutlich gar nicht gemerkt hatte, wie ein Stein von der Windschutzscheibe abprallte und sie verletzte.
    Aber was war das schon gegen einen Schuss in der Brust? Sie schauderte heftig zusammen. Obwohl das Wasser der Dusche warm war, wurde ihr furchtbar kalt. Sie hatte Angst. Kian lag dort drüben im Haus. Vielleicht . . . vielleicht lebte er schon gar nicht mehr. Sie drückte sich eine Faust in den Mund, um nicht zu schreien, als das Entsetzen sie erfasste.
    Auf einmal sah sie Boris Kretschmers Gesicht vor sich. Ihre Lippen pressten sich zusammen. Er hatte auf Kian geschossen. Er war der Wilderer. Und hatte doch tatsächlich die Frechheit besessen, sich hier einzumieten und so zu tun, als wäre er ein ganz normaler Tourist.
    Ein widerlicher Tourist. Ein Tourist mit einem Gewehr. Das hatte sie ja schon gewusst. Und trotzdem hätte sie nie gedacht, dass er – bei all dem Abscheu, den er in ihr erzeugt hatte –ein brutaler Wilderer war.
    »Vanessa? Alles in Ordnung?« Steffens Stimme klang durch das Rauschen des Wassers zu ihr hindurch.
    Sie rappelte sich auf. »Ja«, rief sie zurück. »Alles in Ordnung.«
    Während sie versuchte, den Sand aus ihren Haaren zu waschen, befahl sie sich immer wieder, sich zu beruhigen. Isolde hatte gesagt, sie würde einen Arzt holen. Und Vaanda.
    Vanessa wusste, was Vaanda bewerkstelligen konnte. Das, was N!xau in Kians Wunde gepresst hatte, hatte wie ein Büschel Haare ausgesehen, und auch wenn sie nicht beurteilen konnte, was es war und was es bewirkte, hatte die Wunde danach weniger geblutet. Wenn N!xau solche Mittel kannte, kannte Vaanda sicherlich noch viel mehr. Sie würde Kian retten.
    Eine Träne mischte sich mit den Wassertropfen, als sie ihre Haare zum letzten Mal ausspülte. Sie drängte alle weiteren Tränen, die ihr die Kehle abschnürten, zurück. Es hatte keinen Sinn zu weinen. Vor Steffen schon gar nicht. Er war nicht gerade der große Tröster. Bisher hatte er das auch nie sein müssen.
    Sie trat aus der Dusche und wickelte sich in ein Handtuch. Am Waschbecken lag Steffens Kamm. Sie nahm ihn und versuchte, ihre Haare damit zu entwirren. Es riss und tat weh, aber das war ihr jetzt gerade recht. So spürte sie wenigstens etwas. Denn langsam schien alles Gefühl in ihr zu kalter Gleichgültigkeit zu erstarren. Sie konnte sich nicht damit auseinandersetzen, dass Kian vielleicht tot war. Dass jene Nacht im Zelt die letzte war, die sie je miteinander verbringen würden. Sie schützte sich, indem sie sich in eine Festung aus Eis zurückzog.
    Endlich verließ sie das Bad und ging ins Zimmer zurück. Ihr blutverschmiertes Kleid lag immer noch auf dem Boden. Steffen schien es nicht zu stören. »Kann ich etwas von dir anziehen?«, fragte sie.
    »Klar.« Er wies mit dem Kopf auf seinen Koffer. Anscheinend hatte er seit gestern noch nicht ausgepackt. »Bedien dich.«
    Sie nahm eins seiner T-Shirts heraus und eine halblange, bunte Strandhose. Hatte er gedacht, er flöge in die Karibik? Im Bad zog sie sich an. Sie fühlte sich fremd in Steffens Sachen, obwohl sie schon öfter etwas von ihm getragen hatte. Hier aber erschien es merkwürdig.
    »Na, jetzt siehst du ja wieder halbwegs menschlich aus«, begrüßte Steffen sie lachend, als sie aus dem Bad

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