Naminé - Liebe Deinen Feind
gegenüberstehen. Seinem früheren Meister; seinem alten Freund.
Er seufzte. Sias trat dieser Begegnung mit einem mulmigen Gefühl gegenü ber. Wie er Efal kannte, würde er nicht begeistert sein, sobald er Naminé sah. Mit der größten er Wahrscheinlichkeit würde er vor Wut toben. Hoffentlich benutzt sie den Tiegel , dachte er und legte den Kopf in den Nacken. In Nâge gab es mehr als nur Efal, vor dem sich fürchtete.
In dieser Stadt waren viele Wachen der Hochelben. Die meisten kannten Sias dort, denn einen Teil seiner Kindheit hatte er in Nâge verbracht. Seine Vergangenheit würde ihn, solange er lebte, wohl nie loslassen. Darüber war er sich bewusst, seit Efal und er sich getrennt hatten. Sias schloss kurz die Augen. Morgen würden ihn seine Dämonen wieder einholen.
***
Charlie und die Crew hatten sich von den beiden schon verabschiedet, als Naminé und Sias auf dem Rücken ihrer Pferde das Schiff verließen.
Naminé winkte dem Kapitän zum Abschied noch einmal kurz zu, bevor sie sich wieder nach vorne wandte und ihrem Meister folgte. Mit einem kurzen Blick hatte sie schon ein Wort für Nâge gefunden: Rattenloch. Nâges Straßen waren verschmutzt. Überall sah man Exkremente und Blut, die durch die Ritzen des Kopfsteinpflasters wie Wasser flossen.
Die Wände an den Häusern waren fast schwarz. Man erkannte die frühere Farbe schon gar nicht mehr. Überall saßen Bettler in den Straßen und flehten laut um Geld. Naminé sah weg. Sie konnte all dies Leid nicht mit ansehen.
»Und hier ist Cyons Mörder?«, fragte sie ihn, um sich abzulenken. »Ich weiß es noch nicht. Zuerst muss ich jemanden aufsuchen.« - »Und wen?«
»Efal, meinen alten Meister«, sagte er zu ihr und warf ihr einen schiefen Blick zu. Naminé hatte sich, wie Sias es ihr befohlen hatte, die Haut mit der hellen Paste eingeschmiert. Man sah ihre eigentliche Hautfarbe nicht mehr. »Dein Meister ist hier?«, bohrte sie erneut nach und sah an Sias verspannter Körperhaltung, dass dieses Gespräch nun beendet war.
Naminé fragte nicht mehr weiter und folgte ihm stumm. Vor einem Gasthaus, das den Namen ‘ Der Drachenkopf’ trug, hielt Sias mit seinem Pferd an. Er stieg ab und gab es einem Stalljungen. Naminé tat es ihm nach und ging mit ihm in das Gasthaus. Das Gasthaus war leer. Naminé fand das für eine Stadt wie Nâge ungewöhnlich.
Eigentlich müsste es hier doch vor Menschen wimmeln. Naminé erinnerte sich vage daran, was ein Bekannter ihres Vaters einmal gesagt hatte: Je dreckiger eine Stadt ist, desto mehr verdient der Wirt. Hier schien dies nicht der Fall zu sein. Oder vielleicht lag es auch daran, dass es erst kurz nach Mittag war? Die Waldelbin hatte nicht bemerkt, dass sie plötzlich alleine dastand und Sias verschwunden war.
Neugierig sah sich um und wandte sich dann an den Wirt, der an dem Tresen stand. Sie fragte ihn nach dem Elbenjäger. »Der ist kurz ins Hinterzimmer gegangen. Er kommt gleich wieder. Willst du was trinken?«, fragte er sie und Naminé nahm das Angebot dankend an, während sie auf Sias wartete.
Der Elbenjäger kam nach einer halben Stunde zurück. Er sah immer noch angespannt aus.
»Und?«, fragte sie ihn neugierig, als er sich neben Naminé setzte. »Ich habe mit einem anderen Elbenjäger geredet, der in dieser Stadt lebt. Er sagt, dass Efal heute Nacht hier eintreffen wird. Von ihm weiß ich auch, wo sich mein alter Meister zurzeit aufhält. Wir halten schon seit Jahren über Brieftauben Kontakt. Es gibt nur wenige Elbenjäger, denen du vertrauen kannst. In diesem Gewerbe sind Verrat und Lüge so selbstverständlich, wie dass die Sonne jeden Tag aufgeht.« Naminé merkte an seiner Stimme, dass er schon viele Erfahrungen damit gemacht hatte. »Warum hast du dich eigentlich von Efal getrennt?« - »Efal hat mich ausgebildet. Es ist nicht üblich, dass der Schüler nach der Lehre bei seinem Meister bleibt, doch Efal und ich verstanden uns sehr gut miteinander, weswegen ich auch bei ihm geblieben bin. Wir bekamen viele Aufträge, haben viele Abenteuer erlebt, das schweißt einen sehr zusammen, doch dann kam Techi.«
Sias biss sich auf die Lippen. Ja, Techi. Er hatte sie seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war er ihr begegnet, bevor er auf Charlies Schiff gegangen war.
Von da an hatte er nie wieder etwas über sie gehört.»Wer ist Techi?«, fragte Naminé ihn vorsichtig.
Sias sog scharf die Luft ein. Nein. Er würde es ihr nicht sagen. Er hatte schon zu
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