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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Zimmer herrschte die Kühle eines Aquariums. In dem dicken Wollpullover, den ich gerade aus einem Karton genommen hatte, hing noch der Geruch von Mottenpulver. Oben an der Fensterscheibe saß reglos eine fette Fliege. Da kein Lüftchen wehte, hing das Banner der aufgehenden Sonne so schlaff am Flaggenmast wie die Toga an einem römischen Senator. Ein ängstlicher, magerer brauner Hund, der sich auf das Gelände geschlichen hatte, beschnüffelte jede Blume im Blumenbeet. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, aus welchem Grund ein Hund an einem regnerischen Tag wie diesem Blumen beschnupperte.
    Wenn mir vom Schreiben die Verletzung an meiner rechten Hand zu wehtat, starrte ich gedankenverloren aus dem Fenster in den Regen.
    Ich schrieb Naoko, daß ich mir bei der Arbeit im Plattenladen die Hand aufgeschnitten hatte und daß Nagasawa, Hatsumi und ich zu dritt am Samstagabend Nagasawas bestandene Prüfung gefeiert hatten. Ich beschrieb Naoko das Restaurant und die Speisen. Das Essen sei vorzüglich gewesen, aber im Laufe des Abends habe die Atmosphäre sich zum Unguten entwickelt. Ich war mir nicht sicher, ob ich in Verbindung mit dem Billardsalon meine Erinnerung an Kizuki erwähnen sollte. Schließlich entschied ich mich, Naoko davon zu schreiben. Ich fand, ich sollte es tun.
    »Ich erinnere mich noch deutlich an Kizukis letzten Stoß an jenem Tag – dem Tag, an dem Kizuki starb. Es war ein sehr schwieriger Stoß hart an der Bande, und ich hätte nie gedacht, daß er ihn hinkriegen würde. Vielleicht war es ja auch Zufall, aber der Stoß gelang ihm hundertprozentig. Die weiße und die rote Kugel gaben nur das leiseste Klacken von sich, als sie sich auf dem grünen Filz berührten und ihm den letzten Punkt sicherten. Der Stoß war so schön und eindrucksvoll, daß er mir jetzt noch ganz klar im Gedächtnis ist. Fast zweieinhalb Jahre habe ich kein Queue mehr angefaßt.
    An dem Abend, an dem ich mit Hatsumi spielte, habe ich bis zum Ende der ersten Partie gar nicht an Kizuki gedacht. Aber dann traf es mich wie ein Schock. Ich hatte mir immer eingebildet, daß ich mich jedesmal, wenn ich Billard spielte, an Kizuki erinnern würde. Doch erst, als ich mir am Automaten eine Pepsi zog und zu trinken anfing, fiel mir Kizuki ein, weil es nämlich in unserem Billardsalon auch einen Pepsi-Automaten gab und wir öfter um die Getränke gespielt hatten.
    Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht sofort an Kizuki gedacht hatte. Es kam mir vor, als hätte ich ihn im Stich gelassen. Zu Hause habe ich dann lange darüber nachgedacht. Zweieinhalb Jahre sind seit seinem Tod vergangen, aber Kizuki ist noch immer siebzehn Jahre alt. Das bedeutet nicht, daß meine Erinnerungen an ihn verblaßt sind. Besonders die Dinge, die mit seinem Tod in Verbindung stehen, habe ich noch ganz klar vor Augen, vielleicht sogar klarer, als sie es damals waren. Damit will ich Folgendes sagen: Ich werde bald zwanzig. Ein Teil der Gemeinsamkeiten, die Kizuki und ich als Sechzehn- oder Siebzehnjährige hatten, ist bereits verschwunden, und keine Trauer dieser Welt kann sie mir zurückbringen. Ich kann das nicht gut erklären, und du bist wahrscheinlich die einzige, die meine Gefühle und das, was ich sagen will, bis zu einem gewissen Grad versteht.
    Ich denke mehr an dich denn je. Heute regnet es, und verregnete Sonntage bringen mich immer ein bißchen durcheinander, denn bei Regen kann ich keine Wäsche waschen und darum auch nicht bügeln. Ich kann weder Spazierengehen noch auf dem Dach liegen. Ich kann nichts anderes tun, als am Schreibtisch sitzen und zusehen, wie draußen der Regen fällt, während ich zum x-ten Mal »Kind of Blue« höre, weil ich den Plattenspieler auf Autorepeat gestellt habe. Wie gesagt, sonntags ziehe ich meine Feder nicht auf. Deshalb ist der Brief auch so lang geworden. Jetzt mache ich Schluß und gehe in die Kantine zum Mittagessen.
    Bis bald.«

9. Kapitel
    Am folgenden Montag tauchte Midori wieder nicht zur Vorlesung auf. Was war los mit ihr? Seit unserem letzten Telefongespräch waren nun bereits zehn Tage vergangen. Ich überlegte, ob ich sie zu Hause anrufen sollte, entschied mich aber dagegen. Sie hatte ja gesagt, sie würde sich mit mir in Verbindung setzen.
    Am Donnerstag traf ich Nagasawa in der Kantine. Er setzte sich mit seinem vollen Tablett zu mir und entschuldigte sich für den peinlichen Auftritt beim letzten Mal.
    »Kein Problem. Ich muß mich bei dir für die Einladung zum Essen bedanken. Auch wenn es eine

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