Naokos Laecheln
etwas sonderbare Examensfeier war.«
»Kann man wohl sagen.«
Eine Weile aßen wir schweigend.
»Ich habe mich wieder mit Hatsumi versöhnt.«
»Hab ich mir gedacht.«
»Zu dir war ich auch ziemlich fies, wenn ich mich recht erinnere«, sagte er.
»Was ist los mit dir? Du entschuldigst dich ja. Bist du krank?«
»Schon möglich«, sagte er und nickte zwei-, dreimal kurz. »Übrigens, du hast Hatsumi geraten, sich von mir zu trennen?«
»Selbstverständlich.«
»Du hast recht.«
»Sie ist ein wunderbarer Mensch«, sagte ich und schlürfte meine Misosuppe.
»Ich weiß.« Nagasawa seufzte. »Ein bißchen zu wunderbar für jemanden wie mich.«
Ich schlief wie ein Toter, als der Summer in meinem Zimmer mich zum Telefon rief. Aus dem Tiefschlaf gerissen, war ich völlig desorientiert; ich fühlte mich, als hätte ich mit dem Kopf im Wasser geschlafen und als wäre mein Gehirn aufgeweicht. Die Uhr zeigte viertel nach sechs an, aber ich hatte keine Ahnung, ob morgens oder abends. Mir fiel nicht einmal ein, welches Datum oder welchen Wochentag wir hatten. Ein Blick aus dem Fenster ergab, daß die Flagge nicht gehißt war, also war es wahrscheinlich viertel nach sechs am Abend. Anscheinend war die Flagge doch zu etwas nütze.
»Hallo, Tōru, hast du jetzt Zeit?« fragte Midori.
»Was ist heute für ein Tag?«
»Freitag.«
»Abend?«
»Natürlich. Spinnst du? Es ist… sechs Uhr achtzehn.«
Es war also wirklich Abend! Genau, ich hatte auf dem Bett gelesen und war eingeschlafen. Freitag – ich brachte mein Gehirn auf Touren. Freitags mußte ich nicht arbeiten. »Ja, ich hab Zeit. Wo bist du?«
»Am Bahnhof Ueno. Ich fahre jetzt nach Shinjuku und warte dort auf dich, ja?«
Nachdem wir einen Ort und eine genaue Zeit verabredet hatten, legten wir auf.
Als ich im DUG ankam, saß Midori bereits mit einem Getränk am äußersten Ende der Theke. Unter ihrem zerknitterten Herrentrench trug sie einen dünnen gelben Pullover und Blue jeans. An ihrem Handgelenk klirrten zwei Armreifen.
»Was trinkst du da?«
»Tom Collins.«
Nachdem ich einen Whiskey Soda bestellt hatte, fiel mir ein großer Koffer zu Midoris Füßen auf.
»Ich war verreist. Bin gerade erst zurückgekommen«, sagte Midori.
»Wo warst du denn?«
»In Nara und Aomori.«
»Auf ein- und derselben Reise?« fragte ich verdutzt.
»Quatsch, so verrückt bin ja noch nicht mal ich, daß ich gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Richtungen fahre. Natürlich waren das zwei getrennte Reisen. In Nara war ich mit meinem Freund, nach Aomori bin ich einfach so allein gefahren.«
Ich nahm einen Schluck von meinem Whiskey Soda und gab Midori mit einem Streichholz Feuer. »Du hattest bestimmt allerhand mit der Beerdigung zu tun?«
»Ach, nichts leichter als das. Wir haben darin ja viel Übung. Man braucht nur im schwarzen Kimono mit versteinertem Gesicht dazusitzen, und die anderen kümmern sich um das, was sich gehört. Onkel, Nachbarn und so. Sie kaufen den Sake, bestellen Sushi, trösten, weinen, rumoren, verteilen die Andenken, alles ein Kinderspiel. Das reinste Picknick. Vor allem verglichen mit der täglichen Krankenpflege. Wir waren so ausgelaugt, meine Schwester und ich, daß wir nicht mal weinen konnten. Wirklich. Natürlich haben die Leute sich das Maul zerrissen über die gefühlskalten Töchter, die nicht mal eine Träne um ihren alten Vater vergießen. Also haben wir erst recht nicht geweint. Wir hätten ja so tun können, aber so was kommt nicht in Frage. Schon aus Trotz nicht. Je mehr sie es von uns erwartet haben, desto weniger haben wir geweint. Darin sind meine Schwester und ich uns einig, auch wenn wir sonst ganz verschiedene Charaktere sind.«
Midoris Armreifen klimperten, als sie dem Kellner winkte, um noch einen Tom Collins und ein Schälchen Pistazien zu bestellen.
»Nach der Beerdigung, als alle weg waren, haben wir bis morgens zusammen Sake getrunken – eine Zweiliterflasche – und sind ausgiebig über alle hergezogen: der ist ein Vollidiot, der ein Scheißer, der sieht aus wie ein räudiger Hund, der ist ein Schwein, der ein Arschkriecher, der ein Gauner – was für eine Erleichterung!«
»Kann ich mir denken.«
»Total blau haben wir uns dann in die Betten geschmissen und wie die Steine geschlafen. Das Telefon konnte klingeln oder sonstwas, wir haben weitergeratzt. Nach dem Aufwachen haben wir uns Sushi bestellt und beschlossen, den Laden für eine Weile zu schließen und zu machen, was wir wollen. Nach den ganzen Anstrengungen
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