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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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steigen läßt, läßt mich auf der Stelle treten, und ich fühle mich wie ausgebrannt. Kurz, wir funktionieren völlig verschieden. Verstehst du, was ich sagen möchte?«
    »Ja, sehr gut.« Hatsumi brachte mir ein frisches Bier aus dem Kühlschrank.
    »Außerdem geht er, wenn er das eine Jahr Ausbildung beim Auswärtigen Amt hier fertig hat, sowieso nach Übersee. Und was machst du in der Zeit? Auf ihn warten? Er hat nicht die Absicht, jemals zu heiraten.«
    »Ich weiß.«
    »Mehr fällt mir dazu nicht ein.«
    »Ich verstehe«, sagte Hatsumi.
    Langsam goß ich mir mein Bier ein und trank.
    »Als wir vorhin Billard gespielt haben, ist mir plötzlich etwas eingefallen«, sagte ich. »Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, aber ich habe mich nie einsam gefühlt oder mir Geschwister gewünscht. Ich war gern allein. Doch als wir beide vorhin zusammen Billard gespielt haben, habe ich mir plötzlich gewünscht, eine ältere Schwester wie dich zu haben. Eine kluge, elegante ältere Schwester, die in mitternachtsblauen Kleidern und goldenen Ohrringen phantastisch aussieht und noch dazu eine Billardkönigin ist.«
    Hatsumi lächelte mich erfreut an. »Das ist das Netteste, was ich seit mindestens einem Jahr zu hören bekommen habe. Ganz ehrlich.«
    »Und deshalb wünsche ich mir auch sehr, daß du glücklich wirst«, sagte ich und errötete. »Aber es ist schon irgendwie mysteriös. Allem Anschein nach könnte ein Mensch wie du mit fast jedem glücklich werden. Wie bist du nur ausgerechnet an einen Mann wie Nagasawa geraten?«
    »So was geschieht wohl einfach, ohne daß man etwas dagegen tun kann. Nagasawa würde sagen, das sei meine Verantwortung und nicht seine.«
    »Das würde er ganz bestimmt sagen.«
    »Weißt du, Tōru, ich gehöre nicht gerade zu den intelligentesten Frauen. Eigentlich bin ich eher dumm und altmodisch. Mit Begriffen wie System und Verantwortung kann ich nicht viel anfangen. Ich möchte heiraten, nachts in den Armen meines Mannes liegen und Kinder bekommen. Mehr will ich gar nicht.«
    »Was er sucht, ist etwas ganz anderes.«
    »Menschen können sich ändern, oder?«
    »Du meinst, sie gehen hinaus ins feindliche Leben, stoßen sich die Hörner ab und werden erwachsen? So etwa?«
    »Genau. Und könnte es nicht sein, daß sich seine Gefühle für mich ändern, wenn er einmal längere Zeit von mir getrennt ist?«
    »So funktionieren normale Menschen. Aber er ist kein normaler Mensch. Seine Willenskraft übersteigt unsere Vorstellungen, und Tag für Tag wird sie stärker. Wenn ihn etwas umhaut, macht ihn das nur noch stärker. Er frißt lieber lebende Schnecken, als daß er einen Rückzieher macht oder eine Schwäche eingesteht. Was erwartest du von so einem Mann?«
    »Ach, Tōru, im Augenblick bleibt mir gar nichts anderes übrig, als auf ihn zu warten«, sagte Hatsumi, das Kinn in die Hand gestützt.
    »Liebst du ihn so sehr?«
    »Ja, ich liebe ihn«, erwiderte sie prompt.
    »O Mann«, seufzte ich und trank mein Bier aus. »Es muß wunderbar sein, jemanden mit solcher Überzeugung zu lieben.«
    »Ich bin eben ein naives, altmodisches Mädchen«, sagte Hatsumi. »Möchtest du noch ein Bier?«
    »Nein, danke. Ich muß mich allmählich auf den Weg machen. Danke für den Verband und das Bier.«
    Als ich mir an der Tür die Schuhe anzog, klingelte das Telefon. Hatsumi sah mich an, sah das Telefon an, sah wieder mich an. »Gute Nacht«, sagte ich und öffnete die Tür. Als ich sie hinter mir zuzog, sah ich noch flüchtig, wie Hatsumi den Hörer abhob. Das war das letzte Mal, daß ich sie sah.
    Gegen halb zwölf war ich wieder im Wohnheim und marschierte schnurstracks zu Nagasawas Zimmer. Nach dem zehnten Klopfen fiel mir ein, daß ja Samstag war. Und samstags hatte Nagasawa immer die Erlaubnis, außerhalb des Wohnheims – angeblich bei seinen Verwandten – zu übernachten.
    Also ging ich auf mein Zimmer, nahm meine Krawatte ab, hängte Jacke und Hose auf einen Bügel, zog meinen Schlafanzug an und putzte mir die Zähne. Der Gedanke an den morgigen Sonntag deprimierte mich. Irgendwie kam es mir so vor, als wäre alle vier Tage Sonntag. Noch zwei Sonntage bis zu meinem zwanzigsten Geburtstag. Ich legte mich ins Bett und starrte auf den Wandkalender. Düstere Gefühle überkamen mich.
    Am Sonntagmorgen saß ich am Schreibtisch, um meinen allwöchentlichen Brief an Naoko zu schreiben. Dabei trank ich Kaffee aus einer großen Tasse und hörte alte Miles-Davis-Platten. Vor dem Fenster nieselte es, und in meinem

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