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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dreizehn Jahre später klar. Ich saß in Santa Fe in Neu-Mexiko, wo ich ein Interview mit einem Maler machen wollte, in einer Pizzeria, trank Bier, aß Pizza und wurde Zeuge eines märchenhaft schönen Sonnenuntergangs. Alles war in strahlendes Rot getaucht, meine Hände, die Teller, die Tische. Mitten in diesem überwältigenden Sonnenuntergang mußte ich plötzlich an Hatsumi denken. In diesem Augenblick verstand ich, warum sie mein Herz zum Beben gebracht hatte. Es fühlte sich an wie eine Kindheitssehnsucht, die unerfüllt geblieben war und immer unerfüllt bleiben würde. Eine reine, makellose, längst vergessene Sehnsucht, die irgendwann auf der Strecke geblieben war und von der ich nicht gewußt hatte, daß es sie in meinem Innern noch gab. Etwas, das lange Zeit in mir – in einem Teil von mir – geschlummert und das Hatsumi in mir geweckt hatte. Als mir das bewußt wurde, ergriff mich eine solche Traurigkeit, daß ich fast in Tränen ausgebrochen wäre. Hatsumi war eine ganz besondere Frau gewesen. Jemand hätte sie retten sollen.
    Doch weder mir noch Nagasawa hätte das gelingen können. Als Hatsumi einen bestimmten Punkt in ihrem Leben erreicht hatte, machte sie diesem Leben – wie so viele andere, die ich gekannt habe – ganz abrupt ein Ende. Zwei Jahre, nachdem Nagasawa nach Deutschland gegangen war, heiratete sie einen anderen Mann, und wiederum zwei Jahre später schnitt sie sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern auf.
    Natürlich war Nagasawa derjenige, der mich von ihrem Tod unterrichtete. Er schrieb mir einen Brief aus Bonn. »Mit Hatsumis Tod ist etwas erloschen. Er ist unerträglich traurig und schwer. Sogar für mich.« Ich zerriß den Brief und warf ihn fort. Danach habe ich ihm nie wieder geschrieben.
    Hatsumi und ich gingen in eine kleine Bar und tranken ein paar Gläser. Dabei kriegten wir kaum den Mund auf. Wir saßen einander gegenüber wie ein altes Ehepaar, tranken, aßen Erdnüsse und schwiegen uns an. Als die Bar sich allmählich füllte, machten wir einen Spaziergang. Hatsumi wollte die Rechnung übernehmen, aber ich bestand darauf zu bezahlen, denn es war mein Vorschlag gewesen, noch etwas trinken zu gehen.
    Die Nachtluft war ziemlich kühl. Hatsumi hängte sich ihre hellgraue Strickjacke um; ich vergrub die Hände in den Hosentaschen. Stumm und ziellos schlenderten wir durch die nächtlichen Straßen. Es kam mir fast vor wie mit Naoko.
    »Tōru, weißt du, wo man hier irgendwo Billard spielen kann?« fragte Hatsumi unvermittelt.
    »Billard? Du spielst Billard?«
    »Ja, und gar nicht mal schlecht. Und du?«
    »Ich spiele Karambolage. Aber nicht besonders gut.«
    »Also dann los.«
    Wir entdeckten einen Billardsalon ganz in der Nähe, eine kleine Kneipe am Ende einer Gasse. Hatsumi in ihrem eleganten Kleid und ich in marineblauem Blazer und Krawatte fielen dort sehr auf, aber Hatsumi suchte sich ungerührt ein Queue aus und rieb es mit Kreide ein. Dann nahm sie aus ihrer Handtasche eine Spange und steckte sich das Haar an der Seite fest, damit es sie beim Spiel nicht behinderte.
    Wir spielten zwei Partien Karambolage, die Hatsumi haushoch gewann. Sie war tatsächlich unschlagbar, und mich behinderte meine bandagierte Hand.
    »Du spielst ja phantastisch«, sagte ich voller Bewunderung.
    »Stille Wasser sind tief, nicht wahr?« sagte sie lächelnd und visierte eine Kugel an.
    »Wo hast du das denn gelernt?«
    »Mein Großvater väterlicherseits war ein alter Lebemann und hatte einen Billardtisch in seinem Haus. Als Kind habe ich dort immer mit meinem älteren Bruder geübt. Als ich größer wurde, hat mir mein Großvater dann alle Tricks beigebracht. Er war ein toller Mann, schneidig und gutaussehend. Leider ist er nun tot. Er gab gern damit an, daß er in New York einmal Deanna Durbin begegnet war.«
    Sie versenkte drei Bälle nacheinander und verfehlte den vierten Stoß. Mir gelang ein Treffer, aber dann verpatzte ich einen ziemlich leichten Stoß.
    »Das liegt an deinem Verband«, tröstete mich Hatsumi.
    »Nein, das kommt, weil ich so lange nicht gespielt habe, das letzte Mal vor zwei Jahren und fünf Monaten.«
    »Wieso weißt du das denn noch so genau?«
    »Es war das letzte Spiel mit einem Freund, der am selben Abend gestorben ist.«
    »Und danach wolltest du nie wieder Billard spielen?«
    »Nein, so war’s eigentlich nicht«, erwiderte ich nach kurzem Nachdenken. »Ich hatte seit damals nur keine Gelegenheit mehr. Das ist alles.«
    »Wie ist dein Freund gestorben?«
    »Bei

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