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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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aber nie sehr lang waren. Mit fortschreitendem November berichtete sie von den stetig sinkenden Temperaturen am Morgen.
    »Deine Rückkehr nach T ō ky ō fiel mit dem Beginn des Herbstes zusammen, und so wußte ich eine Zeitlang nicht, ob das Loch in meinem Innern sich aufgetan hatte, weil Du mir fehltest, oder bloß vom Wechsel der Jahreszeit herrührte. Reiko und ich sprechen oft von Dir. Sie läßt Dich herzlich grüßen und ist so lieb zu mir wie eh und je. Ich wüßte nicht, wie ich das Leben hier ohne sie ertragen würde. Ich weine, wenn ich mich einsam fühle. Es ist gut, wenn ich weinen kann, sagt Reiko. Aber die Einsamkeit macht mir wirklich schwer zu schaffen. Wenn ich mich einsam fühle, höre ich nachts Stimmen, die aus der Dunkelheit zu mir sprechen. Sie sprechen auf die gleiche Weise zu mir, wie der Wind nachts in den Bäumen rauscht. Kizuki und meine Schwester, sie sprechen immer so zu mir. Sie sind auch einsam und auf der Suche nach jemandem, mit dem sie reden können.
    An solchen einsamen, traurigen Abenden lese ich manchmal in Deinen Briefen. Vieles, was von außen kommt, verwirrt mich, aber Deine Schilderungen dessen, was sich draußen in der Welt ereignet, bedeuten eine Erleichterung für mich. Sonderbar. Woran das wohl liegt? Reiko und ich lesen sie immer wieder. Dann sprechen wir über den Inhalt. Mir hat der Teil, den Du über das Mädchen Midori und ihren Vater geschrieben hast, sehr gefallen. Jede Woche freuen wir uns schon auf Deine Briefe, sie sind eine unserer wenigen Zerstreuungen. Ja, Briefe gehören hier zur Unterhaltung. Ich bemühe mich, Zeit zu finden, an Dich zu schreiben, aber wenn ich dann vor dem Briefbogen sitze, verläßt mich immer der Mut. Ich muß mich richtig zwingen, diesen Brief zu schreiben. Reiko hat deshalb schon mit mir geschimpft und darauf bestanden, daß ich Dir zurückschreibe. Bitte, versteh mich nicht falsch. Es gibt so vieles, das ich Dir zu sagen hätte, aber ich habe große Schwierigkeiten, meine Gedanken in Worte zufassen. Darum fällt es mir auch so schwer, Briefe zu schreiben.
    Diese Midori scheint ein sehr interessanter Mensch zu sein. Beim Lesen Deines Briefes hatte ich irgendwie das Gefühl, sie könnte verliebt in Dich sein. Als ich Reiko davon erzählte, sagte sie: ›Selbstverständlich ist sie das. Selbst ich bin in Herrn Watanabe verliebt.‹ Wir sammeln jeden Tag Pilze und Kastanien, und demzufolge gibt es jeden Tag Reis mit Maronen oder Reis mit Matsutake-Pilzen, aber das schmeckt so gut, daß wir es nie über bekommen. Reiko ißt aber immer noch wenig und raucht dafür eine nach der anderen. Den Vögeln und den Kaninchen geht es gut.
    Bis bald.«
    Drei Tage nach meinem zwanzigsten Geburtstag erhielt ich ein Päckchen von Naoko mit einem weinroten Pullover und einem Brief.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, schrieb sie, »und alles Gute zum zwanzigsten Lebensjahr. Mein zwanzigstes Lebensjahr wird wohl so traurig bleiben, wie es momentan ist, aber ich wünsche mir, daß Du meinen Anteil am Glück noch dazu bekommst. Das meine ich ganz ernst. Von diesem Pullover haben Reiko und ich jede die Hälfte gestrickt. Allein hätte ich noch bis zum Valentinstag im nächsten Jahr gebraucht. Die gute Hälfte ist von Reiko, die schlechte von mir. Reiko ist einfach gut in allem, was sie tut. Wenn ich ihr zusehe, hasse ich mich manchmal selbst. Ich kann überhaupt nichts gut.
    Mach ‘s gut und bis bald.«
    Reiko hatte einen kurzen Brief beigelegt.
    »Wie geht’s? Für Sie ist Naoko vielleicht der Gipfel des höchsten Glücks, aber in meinen Augen ist sie nichts weiter als ein ungeschicktes Ding. Trotzdem haben wir ‘s geschafft, Ihren Pullover fertigzukriegen. Ist er nicht schön? Die Farbe und den Schnitt haben wir gemeinsam ausgesucht. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

10. Kapitel
    Das Jahr 1969 ist mir als ein unüberwindlicher Morast im Gedächtnis geblieben. Ein schwerer, zäher Morast, in dem bei jedem Schritt, den ich machte, mein Schuh steckenzubleiben drohte. Mit größter Anstrengung versuchte ich, mich durch diesen Sumpf zu arbeiten. Vor mir und hinter mir war nichts zu erkennen. Soweit das Auge reichte, nur schwarzer Morast.
    Sogar die Zeit quälte sich im zähen Tempo meiner unbeholfenen Schritte dahin. Die Menschen um mich herum waren längst weitergezogen, während ich noch immer mühsam durch den Morast krauchte. Große Veränderungen schienen bevorzustehen. John Coltrane und viele andere kamen ums Leben. Die Reformen, nach

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