Naokos Laecheln
Zimmern versteckt. Als es zwischen ihnen und den Schützlingen der Wohnheim-Administration zu Reibereien kam, wurden zwei Personen verletzt und sechs des Wohnheims verwiesen. Nach diesem Vorfall fanden fast täglich kleinere Auseinandersetzungen statt, und im Wohnheim machte sich zunehmend eine bedrückende und gereizte Atmosphäre breit. Einmal wäre ich beinahe selbst von einem der Wohnheim-Protegés niedergeschlagen worden, hätte Nagasawa nicht eingegriffen und die Wogen geglättet. Auf alle Fälle wurde es höchste Zeit für mich, aus dem Wohnheim herauszukommen.
Nachdem ich die Prüfungen hinter mir hatte, ging ich ernsthaft auf Wohnungssuche. Nach einer Woche fand ich etwas außerhalb, in Kichijōji gelegen, genau das Richtige. Die Verkehrsanbindung war ziemlich mies, aber es war ein ganzes Haus, ein richtiger Glückstreffer. Es handelte sich um ein kleines Gartenhaus, das, durch einen ausgedehnten, ziemlich verwilderten Garten vom Haupthaus getrennt, in einem Winkel eines großen Grundstücks stand.
Meine Vermieter, ein reizendes älteres Ehepaar, betraten ihr Haus von der Vorderseite, während mein Eingang auf der Rückseite des Grundstücks lag, was mir die nötige Privatsphäre sicherte. Mein Haus hatte ein größeres Zimmer, eine kleine Küche, ein Bad, einen unglaublich geräumigen Wandschrank und sogar eine Veranda zum Garten. Die Miete war weit niedriger, als es damals üblich war, unter der Voraussetzung, daß ich mich verpflichtete, möglicherweise schon im nächsten Jahr wieder auszuziehen, falls der Enkel meiner Vermieter sich entschlösse, nach Tōkyō zu ziehen. Alles Weitere würden sie mir überlassen, was bedeutete, daß ich tun und lassen konnte, was mir gefiel.
Nagasawa half mir beim Umzug. Er mietete einen Kleinlaster für den Transport meiner Sachen und überließ mir wie versprochen seinen Kühlschrank, seinen Fernseher und seine überdimensionale Thermoskanne. Für mich waren das sehr nützliche Geschenke. Nagasawa selbst zog zwei Tage später in ein Apartment im Stadtteil Mita.
»Wahrscheinlich werden wir uns längere Zeit nicht sehen. Also mach’s gut«, sagte er beim Abschied. »Aber ich hab’s dir ja schon oft gesagt: Eines Tages werden wir uns an einem seltsamen Ort wieder über den Weg laufen.«
»Ich freu mich schon darauf«, erwiderte ich.
»Übrigens, damals bei unserem Tausch – die Häßliche war die bessere.«
»Fand ich auch«, sagte ich lachend. »Trotzdem, Nagasawa, paß gut auf Hatsumi auf. Solche Menschen wie sie sind selten. Und sie ist verletzlicher, als sie aussieht.«
»Ich weiß.« Er nickte. »Ehrlich gesagt, ich hatte gehofft, du würdest sie mir später einmal abnehmen. Du und Hatsumi, ihr paßt wunderbar zusammen.«
»Hör auf mit dem Quatsch!«
»War nur ein Witz«, sagte Nagasawa. »Also dann: viel Glück. Da scheint eine Menge auf dich zuzukommen, aber du bist ein sturer Hund und wirst es schon hinkriegen. Darf ich dir noch einen Rat geben?«
»Klar.«
»Bemitleide dich nie selbst. Selbstmitleid ist etwas für Versager.«
»Ich werd’s mir merken.« Darauf reichten wir uns die Hände und gingen unserer Wege – er in seine neue Welt, ich zurück in meinen Morast.
Drei Tage nach dem Umzug schrieb ich Naoko von dem neuen Haus und wie erleichtert ich war, den Reibereien im Wohnheim, den miesen Typen mitsamt ihren miesen Ansichten entronnen zu sein. Jetzt konnte ich mit frischem Mut ein neues Leben beginnen.
»Vor dem Fenster liegt ein großer Garten, den die Kat zen aus dem Viertel als ihren Treffpunkt benutzen. Ich liege gern auf der Veranda und beobachte sie. Wie viele es sind, kann ich nicht sagen, aber es sind jedenfalls eine ganze Menge. Sie nehmen hier gemeinsame Sonnenbäder. Es scheint ihnen nicht recht zu sein, daß ich hier wohne, aber als ich ihnen ein altes Stück Käse hingelegt habe, haben doch ein paar davon gefressen. Vielleicht werden wir wider Erwarten bald Freunde. Unter ihnen ist ein gestreifter Kater mit abgebissenen Ohren, der meinem alten Wohnheimleiter so verblüffend ähnlich sieht, daß ich jeden Augenblick damit rechne, daß er im Garten die japanische Flagge hißt.
Zur Uni ist es ein bißchen weit, aber wenn ich erst im Hauptstudium bin, ist das auch kein Problem mehr, denn ich habe dann kaum noch Veranstaltungen am Vormittag. Außerdem kann ich in der Bahn in Ruhe lesen. Jetzt muß ich nur noch einen Job in Kichij ō ji auftun, den ich drei-, viermal in der Woche machen kann. Dann kann ich meine Feder aufziehen
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