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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sagte ich.
    Tatsächlich – beim Tanzen in der Disco lebte Midori allmählich wieder auf. Sie trank zwei Whiskey Cola und tanzte, bis ihr der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief.
    »Das macht solchen Spaß«, sagte sie, als wir uns an den Tisch setzten, um zu Atem zu kommen. »So habe ich schon lange nicht getanzt. Körperliche Bewegung befreit den Geist.«
    »Deiner kommt mir immer ziemlich befreit vor.«
    »Nee, überhaupt nicht.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt, wo’s mir besser geht, kriege ich Hunger. Gehen wir eine Pizza essen?«
    Wir gingen in eine Pizzeria, die ich gut kannte, und bestellten Bier vom Faß und eine Sardellenpizza. Ich hatte keinen großen Appetit und aß von den zwölf Pizzastücken nur vier. Midori verputzte den Rest.
    »Du hast dich ja ziemlich schnell erholt. Vorhin warst du noch ganz blaß und wacklig in den Knien«, wunderte ich mich.
    »Weil ich meinen Willen durchsetzen konnte. Das hat mich geheilt. Aber die Pizza schmeckt auch klasse.«
    »Sag mal, ist bei dir wirklich niemand zu Hause?«
    »Hm, meine Schwester schläft bei einer Freundin, weil sie vor Angst nicht schlafen kann, wenn sie allein im Haus ist.«
    »Dann lassen wir das doch mit der Absteige. So was ist doch eh kein Vergnügen. Gehen wir lieber zu dir. Ihr habt doch bestimmt Bettzeug für mich?«
    Midori überlegte kurz und nickte. »Gut, übernachten wir bei mir.«
    Wir fuhren mit der Yamanote-Linie bis Ōtsuka und schlüpften unter dem Rolladen der Buchhandlung Kobayashi, an dem ein Zettel ›Vorübergehend geschlossen‹ hing, hindurch ins Haus. Der Laden schien schon länger geschlossen zu sein, und es roch in dem dunklen Raum nach muffigem alten Papier. Die Hälfte der Regale stand leer, und die meisten Zeitschriften waren zu Bündeln verschnürt. Die dumpfe Kälte, die mir bei meinem ersten Besuch schon aufgefallen war, hatte sich verstärkt. Der Laden wirkte wie ein gestrandetes Schiff.
    »Ihr wollt das Geschäft wahrscheinlich nicht weiterführen, oder?« fragte ich.
    »Nee, wir wollen es verkaufen. Dann hätten wir genug Geld, um eine Zeitlang davon leben zu können. Es sollte reichen, bis meine Schwester nächstes Jahr heiratet und ich in drei Jahren mit dem Studium fertig bin. Ich behalte natürlich meinen Job, und wenn wir das Haus verkauft haben, wollen meine Schwester und ich ein Apartment mieten.«
    »Glaubst du, ihr findet einen Käufer?«
    »Vielleicht. Eine Dame, die hier ein Kurzwarengeschäft eröffnen möchte, hat sich vor kurzem erkundigt, ob wir verkaufen. Armer Papa. Er hat so hart gearbeitet, um Schritt für Schritt die Schulden abzutragen, und am Ende ist ihm fast nichts mehr geblieben, alles zerronnen wie Schaum.«
    »Du bist ihm geblieben.«
    »Ich?« Midori lachte amüsiert, aber dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Laß uns raufgehen. Es ist so kalt hier.«
    Oben bat sie mich, in der Küche Platz zu nehmen, während sie das Bad anheizte. Inzwischen setzte ich den Kessel auf, um Tee zu machen, den Midori und ich am Küchentisch tranken, bis das Bad heiß war. Das Kinn in die Hand gestützt, musterte sie mich forschend. Außer dem Ticken der Uhr und dem Kühlschrank, der in gewissen Abständen brummte, war kein Laut zu hören. Es war fast zwölf.
    »Wenn man’s genau betrachtet, hast du eigentlich ein sehr interessantes Gesicht«, sagte Midori.
    »Kann sein«, erwiderte ich leicht gekränkt.
    »Ich lege Wert auf gutes Aussehen, und je länger ich dich anschaue, desto mehr finde ich, daß du gut genug aussiehst.«
    »Finde ich auch. Manchmal sehe ich mich an und denke: gut genug.«
    »Das war doch nicht bös gemeint. Ich kann mich nur nicht so gut ausdrücken, darum werde ich auch oft mißverstanden. Was ich sagen will, ist, daß ich dich sehr gerne mag. Hab ich dir das schon mal gesagt?«
    »Ja, hast du.«
    »Mit der Zeit werde auch ich die Männer durchschauen.«
    Midori holte eine Schachtel Marlboro und zündete sich eine an. »Wenn man bei Null anfängt, hat man eine ganze Menge zu lernen.«
    »Da könntest du recht haben.«
    »Ach, übrigens, vielleicht möchtest du ein Räucherstäbchen für meinen Vater anzünden?« Ich ging mit Midori in das Zimmer, in dem der buddhistische Altar stand, zündete vor dem Foto ihres Vaters ein Räucherstäbchen an und legte die Handflächen aneinander.
    »Weißt du, vor kurzem habe ich mich vor dem Foto meines Vaters nackt ausgezogen. Splitternackt. Hab ihm alles gezeigt. Im Yogasitz. ›Hier, Papa, das sind meine Brüste, das ist

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