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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sprach, aber etwas Besseres wußte ich mit mir nicht anzufangen. Allein saß ich im Hörsaal in der ersten Reihe, allein lauschte ich der Vorlesung, allein ging ich in die Mensa und aß allein. Mit dem Rauchen hatte ich aufgehört.
    Ende Mai fand ein Streik statt. »Nieder mit der Universität«, riefen die Demonstranten. Von mir aus, nieder damit, dachte ich. Demoliert sie, reißt sie ein, macht Kleinholz aus ihr. Ist mir doch scheißegal. Ein Stein würde mir vom Herzen fallen. Ich bin zu allem bereit. Wenn ihr Hilfe braucht, gern. Nur tut es endlich!
    Da die Uni bestreikt wurde und alle Veranstaltungen ausfielen, suchte ich mir einen Job bei einer Spedition. Ich arbeitete als Beifahrer und half beim Be- und Entladen der Lastwagen. Die Arbeit war schwerer, als ich vermutet hatte. Anfangs kam ich morgens vor Schmerzen kaum aus dem Bett, aber die Bezahlung war gut, und die körperliche Anstrengung half mir, meine innere Leere zu vergessen. Ich arbeitete fünf Tage in der Woche bei der Spedition und an drei Abenden im Plattenladen. An meinen freien Abenden betrank ich mich in meinem Zimmer mit Whiskey und las. Sturmbandführer trank nie Alkohol und verabscheute schon den Geruch. Wenn ich mich also auf dem Bett lümmelte und Whiskey trank, jammerte er, er könne nicht lernen, und ich solle doch draußen trinken.
    »Geh du doch raus«, sagte ich.
    »Aber Trinken ist sowie-wie-wie-so ge-ge-gen die Hausordnung.«
    »Mir doch egal. Hau selbst ab«, antwortete ich wütend.
    Er sagte nichts mehr, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen und trollte mich mit meinem Whiskey aufs Dach.
    Im Juni schrieb ich Naoko nochmals einen langen Brief an die Adresse ihrer Eltern in Kōbe. Der Inhalt war ungefähr der gleiche wie im ersten Brief. Nur fügte ich am Ende hinzu, daß das Warten auf ihre Antwort sehr schmerzhaft für mich sei und ich nur wissen wolle, ob ich sie womöglich verletzt hätte. Nachdem ich den Brief eingeworfen hatte, spürte ich, daß sich das Loch in meinem Innern wieder etwas vergrößert hatte.
    Im Juni ging ich zweimal mit Nagasawa auf Tour, und wir rissen jedesmal mühelos zwei Mädchen auf. Das eine Mädchen veranstaltete ein großes Theater, als ich sie in das Bett des Hotelzimmers locken und ausziehen wollte, doch kaum hatte ich mich allein aufs Bett gelegt, um zu lesen, weil ich fand, die ganze Aufregung lohne sich nicht, da kam sie von selbst zu mir. Das andere Mädchen interviewte mich nach dem Sex geradezu. Mit wie vielen Mädchen ich geschlafen hätte, wo ich herkäme, auf welcher Uni ich sei, welche Musik mir gefalle, ob ich die Romane von Osamu Dazai gelesen hätte, wohin ich am liebsten reisen würde und ob ihre Brustwarzen zu groß seien. Ich gab erwartbare Antworten und schlief ein. Kaum hatte ich die Augen wieder aufgeschlagen, da wollte das Mädchen mit mir frühstücken, also gingen wir in ein Café und verzehrten das übliche Frühstück mit verbrutzelten Eiern und schlechtem Kaffee. Während der ganzen Zeit riß der Strom ihrer Fragen nicht ab. Was war mein Vater von Beruf; welche Noten hatte ich in der Schule gehabt; in welchem Monat war ich geboren; hatte ich schon mal Frosch gegessen usw. usw. Mir begann der Kopf zu schmerzen, und nach dem Frühstück sagte ich, daß ich zur Arbeit müsse.
    »Wir könnten uns wohl nicht mal wieder treffen?« fragte sie verzagt.
    »Ach, bestimmt laufen wir uns bald wieder einmal über den Weg«, sagte ich unbestimmt und suchte das Weite. Was tust du da eigentlich? fragte ich mich, sobald ich wieder allein war. Das solltest du lieber lassen. Aber ich konnte es nicht lassen. Mein Körper war hungrig und durstig; er gierte nach Frauen. Doch immer, wenn ich mit einer zusammen war, mußte ich ständig an Naoko denken, an den weißen Schimmer ihrer nackten Haut im Dunkeln, an ihre Seufzer und das Trommeln des Regens. Und je mehr ich an sie dachte, desto hungriger und durstiger wurde mein Körper. Mit meinem Whiskey ging ich aufs Dach hinauf und fragte mich, was aus mir werden sollte.
    Anfang Juli erhielt ich endlich eine Nachricht von Naoko. Es war ein kurzer Brief.
    »Entschuldige, daß ich jetzt erst antworte. Aber bitte, versuch mich zu verstehen. Es hat sehr lange gedauert, bis ich diesen Brief schreiben konnte. Ich mußte ungefähr zehnmal von vorn anfangen. Schreiben ist sehr schwer für mich.
    Ich fange mit meinem Entschluß an. Ich habe mich entschieden, mein Studium für ein Jahr zu unterbrechen. Offiziell lasse ich mich nur beurlauben, aber ich glaube

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