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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dann aber mit Kopfschmerzen in mein Bett zurück und schlief.
    Im Februar schneite es oft.
    Ende des Monats geriet ich in einen blöden Streit mit einem der älteren Studenten auf meinem Stockwerk und verpaßte ihm einen solchen Schlag, daß er mit dem Kopf gegen die Betonwand knallte. Glücklicherweise war er nicht ernsthaft verletzt, und Nagasawa brachte die Sache für mich mit diplomatischem Geschick ins Reine. Immerhin wurde ich vor den Wohnheimleiter zitiert und erhielt eine Verwarnung. Von da an fühlte ich mich im Wohnheim nicht mehr so recht wohl.
    Das akademische Jahr ging zu Ende, der Frühling kam. Mir fehlten einige Leistungsnachweise, aber ansonsten bewegten sich meine Noten noch im Mittelfeld, ganz wenige waren darüber. Naoko hatte alle Scheine gesammelt, die für die Zulassung zum zweiten Studienjahr nötig waren. Wir hatten den Kreislauf der Jahreszeiten einmal durchlebt.
    Mitte April wurde Naoko zwanzig. Ich bin im November geboren, also war sie sieben Monate älter. Daß Naoko zwanzig wurde, war ein seltsames Gefühl. Ich hatte immer in der Vorstellung gelebt, wir würden ewig zwischen achtzehn und neunzehn hin- und herpendeln. Nach achtzehn kam neunzehn und nach neunzehn wieder achtzehn. Ganz natürlich. Aber nun wurde sie zwanzig. Und im Herbst würde auch ich zwanzig sein. Nur Tote bleiben für immer siebzehn.
    An Naokos Geburtstag regnete es. Nach den Seminaren kaufte ich in einer Bäckerei in der Nähe einen Kuchen und fuhr mit der Straßenbahn zu ihrer Wohnung. Zwanzig sei ein Grund zum Feiern, hatte ich gesagt. Wäre ich als erster dran gewesen, hätte ich mir wahrscheinlich das gleiche gewünscht. Es muß hart sein, seinen zwanzigsten Geburtstag allein zu verbringen. Die Bahn war voll, und es hatte in Strömen gegossen. Bis ich bei Naoko ankam, hatte der Kuchen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Ruine des römischen Kolosseums, aber als ich ihn mit den zwanzig mitgebrachten Kerzen geschmückt, die Vorhänge geschlossen und das Licht gelöscht hatte, entstand doch noch eine festliche Atmosphäre. Naoko öffnete eine Flasche Wein, wir aßen etwas von dem Kuchen und anschließend ein einfaches Abendessen.
    »Irgendwie ist es blöd, zwanzig zu werden«, sagte Naoko. »Ich bin noch gar nicht so weit. Ein komisches Gefühl. Als ob mich irgendwas von hinten geschubst hätte.«
    »Mir bleiben noch sieben Monate, um mich darauf vorzubereiten«, sagte ich und lachte.
    »Du hast’s gut. Du bist noch neunzehn«, sagte Naoko ein wenig neidisch.
    Beim Abendessen erzählte ich die Geschichte von Sturmbandführers neuem Pullover. Bislang hatte er nur einen Pullover besessen (den marineblauen Schulpullover), jetzt hatte er sich endlich einen zweiten zugelegt. Der Pullover war an sich sehr hübsch, rot und schwarz mit einem eingestrickten Hirschmotiv, aber Sturmbandführer sah darin zum Schießen aus, so daß bei seinem Anblick jeder unwillkürlich losprustete. Ihm waren diese Heiterkeitsausbrüche natürlich völlig rätselhaft.
    »Watanabe, sag’s mir, was ist so k-ko-komisch?« fragte er mich im Speisesaal. »Klebt mir was im Gesicht?«
    »Nichts ist komisch.« Ich versuchte, die Miene nicht zu verziehen. »Aber einen schönen Pullover hast du da an.«
    »Danke«, sagte Sturmbandführer strahlend.
    Naoko gefiel die Geschichte sehr. »Ich muß ihn unbedingt mal kennenlernen. Nur einmal sehen.«
    »Auf keinen Fall – du würdest auf der Stelle einen Lachkrampf bekommen.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Na klar. Ich sehe ihn jeden Tag und kann mich manchmal trotzdem kaum beherrschen.«
    Nach dem Essen räumten wir gemeinsam den Tisch ab, setzten uns auf den Boden, hörten Musik und tranken Wein. In der Zeit, in der ich ein Glas trank, trank sie zwei.
    Naoko redete an diesem Abend ungewöhnlich viel. Sie erzählte mir von ihrer Kindheit, ihrer Schulzeit, ihrer Familie. Jede ihrer Geschichten war lang und von der Detailfülle einer Miniatur. Ihr Gedächtnis verblüffte mich, aber zugleich dämmerte mir, daß mit ihrer Erzählweise etwas nicht stimmte. Irgend etwas daran war sonderbar, geradezu unnatürlich. Jede Geschichte war in sich stimmig, aber wie sie ineinander übergingen, war irgendwie merkwürdig. Geschichte A verwandelte sich plötzlich in Geschichte B, die bald zum Inhalt von Geschichte C führte, und so ging es unablässig weiter. Keine Ende war abzusehen. Anfangs fielen mir noch passende Bemerkungen ein, aber mit der Zeit gab ich auf. Ich legte eine Platte auf, hob die Nadel, wenn sie zu Ende

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