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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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war, und legte die nächste auf. Nachdem ich alle einmal durchgespielt hatte, fing ich wieder bei der ersten an. Naoko besaß nur etwa sechs Schallplatten. Ich begann mit Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und schloß mit Waltz for Debbie von Bill Evans. Vor dem Fenster fiel ohne Unterlaß der Regen. Träge strömte die Zeit dahin, während Naoko erzählte und erzählte.
    Schließlich ging mir auf, daß Naokos Geschichten so unnatürlich wirkten, weil sie sich bemühte, bestimmte Punkte nicht zu berühren. Zweifellos war einer dieser Punkte Kizuki, aber ich spürte, daß sie noch etwas anderes zu übergehen suchte. Gewisse Themen vermeidend, redete sie in dieser ausweichenden, gewundenen Art immer weiter und erzählte die langweiligsten Dinge mit unglaublicher Ausführlichkeit. Da ich jedoch zum ersten Mal erlebte, daß Naoko völlig von etwas absorbiert war, ließ ich sie einfach weiterreden.
    Erst als es elf schlug und Naoko nonstop mehr als vier Stunden geredet hatte, wurde ich unruhig; ich mußte die letzte Bahn kriegen, um vor Toresschluß im Wohnheim anzukommen. Bei der nächsten Gelegenheit unterbrach ich sie.
    »Zeit für meinen Rückzug und die letzte Bahn«, sagte ich mit einem Blick auf die Uhr.
    Es war, als hätten meine Worte Naokos Ohr nicht erreicht. Oder als verstünde sie ihre Bedeutung nicht. Sie schloß für einen Augenblick den Mund, um ihren Monolog dann sofort weiterzuführen. Resigniert setzte ich mich wieder und trank, was von der zweiten Flasche Wein noch übrig war. Am besten würde ich sie wohl so lange reden lassen, bis sie fertig war. Ich beschloß, Bahn und Sperrstunde zu vergessen.
    Doch Naoko sprach nicht mehr lange weiter. Ehe ich mich versah, verstummte sie. Der letzte Wortfetzen hing noch wie abgerissen in der Luft. Eigentlich war sie noch nicht fertig mit dem, was sie sagen wollte; die Wörter hatten sich einfach verflüchtigt. Sie hatte weitersprechen wollen, aber da kam nichts mehr. Etwas war zerstört. Vielleicht hatte ich es zerstört. Meine Worte hatten sie wohl doch erreicht, deren Bedeutung war nach einer Weile zu ihr durchgedrungen und hatte sie von der Energie, die sie zum Weiterreden brauchte, abgeschnitten. Unverwandt und mit halboffenem Mund sah Naoko mir in die Augen. Sie erinnerte an eine Maschine, die schnurrend gelaufen war, bis jemand den Stecker rausgezogen hatte. Ihre Augen wirkten wie von einem hauchdünnen Film bedeckt.
    »Entschuldige, daß ich dich unterbrochen habe«, sagte ich. »Aber es ist schon spät, und…«
    Eine dicke Träne quoll aus Naokos Auge, rann ihr über die Wange und platschte auf eine Plattenhülle. Mit dieser ersten Träne war der Damm gebrochen. Beide Hände vor sich auf den Boden gestützt, begann Naoko zu schluchzen, als würde sie sich erbrechen. Noch nie im Leben hatte ich einen Menschen so heftig weinen sehen. Ich streckte die Hand aus und berührte sanft ihren Rücken. Ihre Schultern bebten. Beinahe ohne zu wissen, was ich tat, nahm ich sie in die Arme. Zitternd an meine Brust gepreßt, weinte sie lautlos weiter, bis mein Hemd von ihrem heißen Atem und ihren Tränen feucht und schließlich durchnäßt war. Bald tasteten Naokos zehn Finger, wie auf der Suche nach etwas ganz Wichtigem, das sich einmal dort befunden hatte, meinen Rücken ab. Ich stützte sie mit dem linken Arm und strich ihr mit der rechten Hand über ihr weiches, glattes Haar. So blieben wir lange Zeit sitzen, und ich wartete darauf, daß Naoko endlich aufhörte zu weinen. Aber sie hörte nicht auf.
    In jener Nacht schlief ich mit Naoko. Ob das richtig war, weiß ich nicht. Heute, zwanzig Jahre danach, weiß ich es noch immer nicht, und ich werde es wohl niemals wissen. Doch damals konnte ich nichts anderes tun. Naoko befand sich in einem Zustand höchster Anspannung und Erregung, und sie wollte von mir beruhigt werden. Nachdem ich das Licht im Zimmer gelöscht hatte, zog ich sie langsam und zärtlich aus. Dann zog ich mich aus und nahm Naoko in die Arme. In der Dunkelheit dieser warmen, regnerischen Nacht, in der wir auch nackt keine Kälte spürten, erforschten Naoko und ich schweigend unsere Körper. Ich küßte sie und umschloß ihre weichen Brüste mit den Händen, während Naoko meinen steifen Penis umklammerte. Ihre Vagina war warm und feucht, als warte sie auf mich.
    Dennoch schien Naoko einen starken Schmerz zu empfinden, als ich in sie eindrang. Ich fragte, ob dies für sie das erste Mal sei, und als sie nickte, war ich völlig entgeistert, denn ich

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