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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hatte immer angenommen, daß sie schon mit Kizuki geschlafen hatte. Ich drang tief in sie ein und hielt sie lange in den Armen, ohne mich zu rühren. Als sie sich beruhigt zu haben schien, bewegte ich mich sehr langsam und nahm mir viel Zeit zu kommen. Zum Schluß klammerte Naoko sich an mich und stieß einen Laut aus. Niemals habe ich eine traurigere Äußerung der Lust vernommen.
    Später fragte ich sie, warum sie nie mit Kizuki geschlafen habe, was ich lieber hätte lassen sollen, denn sie löste sich sofort von mir und begann wieder, lautlos zu weinen. Nachdem ich ihren Futon aus dem Wandschrank geholt und sie zu Bett gebracht hatte, saß ich rauchend am Fenster und starrte in den endlosen Aprilregen.
    Gegen Morgen hörte der Regen auf. Naoko lag mit dem Rücken zu mir. Vielleicht hatte sie die ganze Nacht wachgelegen. Jedenfalls kam kein Wort über ihre Lippen, und ihre Körperhaltung wirkte so steif, als wäre sie im Laufe der Nacht zum Eisblock erstarrt. Ich sprach sie mehrmals an, aber sie gab keine Antwort und rührte sich auch nicht. Nachdem ich eine Zeitlang auf ihre nackten Schultern gestarrt hatte, beschloß ich zu gehen.
    Natürlich hatte niemand die Plattenhüllen, unsere Gläser, die beiden leeren Weinflaschen und den Aschenbecher vom Abend zuvor vom Boden weggeräumt, und die Hälfte der Kuchenruine stand auch noch auf dem Tisch, als wäre die Zeit plötzlich stillgestanden und nichts hätte sich mehr bewegt. Ich sammelte die Sachen vom Boden ein und trank am Spülbecken zwei Gläser Wasser. Auf dem Schreibtisch lagen ein Wörterbuch und eine Tabelle der französischen Verbformen. An der Wand über dem Schreibtisch hing ein Kalender ohne Bilder oder Fotografien, nur mit Zahlen. In den Kalender war nichts eingetragen.
    Ich suchte meine Kleider zusammen und zog mich an. Mein Hemd war vorne noch feucht, es fühlte sich kalt an und roch, als ich es ans Gesicht hielt, nach Naoko. Auf einen Notizblock auf dem Schreibtisch schrieb ich: »Wenn es Dir wieder besser geht, würde ich gerne in Ruhe mit Dir reden. Bitte, ruf mich bald an. Alles Gute zum Geburtstag.« Mit einem letzten Blick auf Naokos Schultern verließ ich das Zimmer und zog leise die Tür hinter mir ins Schloß.
    Die Woche verging, aber Naoko rief nicht an. In ihrem Apartmenthaus konnte man nicht ans Telefon gerufen werden, also machte ich mich am folgenden Sonntagmorgen mit der Bahn auf den Weg nach Kokubunji. Naoko war nicht da, und das Namensschild an ihrer Tür war entfernt worden. Fenster und Läden waren fest verschlossen. Vom Hausmeister erfuhr ich, daß Naoko drei Tage zuvor ausgezogen war. Über ihren Verbleib wußte er nichts.
    Ich kehrte ins Wohnheim zurück und schrieb einen langen Brief an Naoko, den ich an ihre Adresse in Kōbe schickte, in der Hoffnung, daß ihre Eltern ihn an sie weiterleiten würden.
    In dem Brief schilderte ich ihr ganz offen meine Empfindungen. Daß ich vieles nicht verstünde, und daß ich dazu trotz aller Anstrengungen Zeit brauchen würde. Wo ich danach stehen würde, könne ich jetzt noch nicht sagen. Deshalb sei ich auch nicht imstande, Versprechungen und schöne Worte zu machen oder selbst Forderungen zu stellen. Vor allem wüßten wir ja viel zu wenig voneinander. Doch wenn sie bereit sei, mir Zeit zu geben, würde ich mein Bestes tun, damit wir uns besser kennenlernten. In jedem Fall sei mir sehr viel daran gelegen, sie wiederzusehen und mich mit ihr auszusprechen. Seit Kizukis Tod habe es nie mehr einen Menschen gegeben, dem ich meine Gefühle ehrlich anvertrauen konnte. Sie sei vermutlich in einer ganz ähnlichen Lage. Vielleicht brauchten wir einander mehr, als wir meinten. Möglicherweise deshalb habe unsere Beziehung einen solchen Umweg genommen und habe uns in gewisser Weise in die Irre geführt. Vielleicht hätte ich mich anders verhalten sollen, aber in jenem Moment sei es mir als das Richtige erschienen. Nie zuvor hätte ich solche Zuneigung und Wärme für jemanden empfunden wie in jenem Augenblick für sie. Ich bat sie dringend um Antwort. Wie auch immer diese Antwort ausfallen würde, ich brauchte sie unbedingt. Soweit mein Brief.
    Aber es kam keine Antwort.
    Aus meinem Innern war etwas verschwunden und hatte eine Lücke hinterlassen, die nicht zu füllen war. Mein Körper fühlte sich unnatürlich leicht an, und alle Geräusche klangen hohl. Ich besuchte jetzt mit größerer Regelmäßigkeit die Vorlesungen an der Uni, obwohl sie mich entsetzlich langweilten und ich dort nie mit jemandem

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