Naokos Laecheln
nicht, daß ich je wieder an die Uni zurückkehren werde. Du wirst das vielleicht für einen übereilten Entschluß halten, aber ich habe das schon länger vorgehabt. Mehrmals wollte ich Dir davon erzählen, habe aber nie einen guten Anfang gefunden. Ich hatte Angst, auch nur den Mund aufzumachen.
Kimm Dir bitte nicht alles so zu Herzen. Was immer geschehen ist oder nicht, ich glaube, am Ende wäre es auf das gleiche hinausgelaufen. Vielleicht fühlst Du Dich von meinen Worten gekränkt. Das würde mir sehr leid tun. Ich möchte nicht, daß Du Dir wegen mir Vorwürfe machst, denn ich muß nur mit mir selbst ins Reine kommen. Seit einem Jahr habe ich das vor mir hergeschoben und damit auch Dich in Schwierigkeiten gebracht. Vielleicht ist jetzt eine Grenze erreicht.
Nach meinem Auszug aus dem Apartment in Kokubunji bin ich zu meinen Eltern nach K ō be gezogen und wurde dort eine Weile ärztlich behandelt. Die Ärzte sagen, es gebe ein Sanatorium in den Bergen bei Kyot ō , das für mich das richtige wäre. Ich glaube, ich werde für eine Weile dorthin gehen. Es ist kein Krankenhaus, eher so etwas wie ein Sanatorium. Genaueres schreibe ich dir im nächsten Brief. Im Augenblick kann ich noch nicht so gut schreiben. Was ich jetzt brauche, ist ein weltabgeschiedener, ruhiger Ort, an dem sich meine Nerven erholen können.
Ich bin auf meine Weise sehr dankbar für das Jahr, das ich mit Dir verbringen durfte. Das mußt Du mir glauben. Du hast mir auch nicht wehgetan. Das war ganz allein ich selbst. Davon bin ich überzeugt.
Im Augenblick bin ich noch nicht so weit, daß ich Dich sehen könnte. Nicht, daß ich nicht möchte, aber ich bin einfach nicht so weit. Wenn ich das Gefühl habe, so weit zu sein, lasse ich es Dich sofort wissen. Vielleicht können wir uns dann ein bißchen besser kennenlernen. Denn ich bin Deiner Meinung: wir sollten uns besser kennenlernen.
Bis bald.«
Ich las den Brief immer wieder, hundertmal, und bei jedem Mal überkam mich unsägliche Traurigkeit. Es war genau die gleiche Traurigkeit, die ich empfunden hatte, wenn Naoko mir in die Augen sah. Mit diesem Gefühl konnte ich nicht umgehen, keinen Platz dafür finden, es nicht einordnen. Es war ohne Gestalt und ohne Gewicht, wie ein Luftzug, der meinen Körper umspielte. Ich konnte mich auch nicht damit umhüllen. Die Szenen glitten langsam an mir vorüber, doch die Worte, die Naoko an mich richtete, erreichten mich nicht.
Meine Samstagabende verbrachte ich weiter in der Eingangshalle, obwohl ein Anruf nicht zu erwarten war, aber etwas Besseres hatte ich nicht zu tun. Ich schaltete den Fernseher ein und tat so, als würde ich mir Baseball anschauen. In Wirklichkeit zerteilte ich den leeren Raum zwischen mir und dem Fernseher in zwei Teile und teilte diese Abschnitte wiederum in zwei Teile. Das setzte ich so lange fort, bis der leere Raum zum Schluß so klein war, daß er in meiner Hand Platz gefunden hätte. Um zehn schaltete ich den Fernseher ab, ging in mein Zimmer und schlief.
Ende des Monats schenkte mir Sturmbandführer ein Glühwürmchen.
Es saß in einem Instantkaffee-Glas mit Luftlöchern im Deckel, das er mit ein paar Grashalmen und Wasser ausgestattet hatte. Im Tageslicht sah das Glühwürmchen aus wie ein unscheinbarer gewöhnlicher Käfer, den man überall am Wasser findet, aber Sturmbandführer erklärte, es handle sich eindeutig um ein Glühwürmchen. »Mit Glühwürmchen kenne ich mich aus«, erklärte er, und ich sah keinen Grund, ihm zu widersprechen. Von mir aus, dann war es eben ein Glühwürmchen. Es wirkte irgendwie ermattet, versuchte aber immer wieder, an der glatten Glaswand seines Gefängnisses emporzukrabbeln, nur um unweigerlich wieder abzustürzen.
»Ich hab’s im Hof gefunden.«
»Hier im Hof?« fragte ich erstaunt.
»Klar. Das Hotel dort unten setzt doch im Sommer immer Glühwürmchen für seine Gäste aus. Das hier hat’s bis zu uns geschafft.« Während er redete, stopfte Sturmbandführer Kleidung und Hefte in seine schwarze Tragetasche.
Die Sommerferien hatten schon vor ein paar Wochen angefangen, und wir gehörten zu den wenigen, die sich noch im Wohnheim aufhielten. Ich hatte keine Lust gehabt, nach Kōbe zu meinen Eltern zu fahren, und statt dessen lieber gejobbt. Sturmbandführer war wegen eines Praktikums noch geblieben, aber nun war es beendet, und er fuhr nach Hause. Sturmbandführer stammte aus Yamanashi.
»Schenk es doch einem Mädchen. Es gefällt ihr bestimmt«, sagte er.
»Danke.«
Nach
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