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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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kühler, die Bäume alle von gleicher Art: Rotholzriesen, Reihe an Reihe, mit hundert Meter hohen Wipfeln, wie schwarzes Geflecht.
    Spitzengeflecht .
    Dann wurde es heller. Eine Lichtung lag vor uns. Lucy stürmte darauf zu und erreichte den Waldrand.
    Vor uns lag ein flacher Hang, bewachsen von hohem Waldgras und durchzogen von mehreren schmalen Bächen. Ich folgte Lucy über den weichen Grund zu einer moosigen Kuhle hinunter, wo sich das Wasser in einem grünen Teich sammelte, dessen Oberfläche mit Algenschleim bedeckt war.
    Wir kamen zu einer Hüttenruine. Reste der Tür schwankten im Wind, und ich entdeckte ein grünes Messingschild daran. Ich rieb den Grünspan ab, bis ich die eingravierten Buchstaben lesen konnte:
    Inspiration Ich stieß die Tür beiseite und ging hinein. Der Fußboden war schwarz und verströmte einen eigenartig süßlichen Geruch. Durch die leeren Fensterrahmen sah ich den Teich. Die Wände waren von Pilzen zerfressen. In einer Ecke sah ich Überreste von Möbeln. Auf dem schmalen Schreibtisch entdeckte ich eine alte mechanische Schreibmaschine.
    Auf dem Boden daneben lag ein Ringordner, reduziert zu drei Metallringen an einem rostigen Blechstreifen, und etwas anderes, das wie eine Patronenhülse aussah.
    Ich kniete mich hin, um es mir näher anzuschauen.
    Es war die Kappe eines Füllfederhalters mit der Gravur MBL . Ich steckte sie in die Tasche und pflügte mit der Fußspitze in dem stinkenden Abfall auf dem Boden, fand jedoch keine weiteren Schätze.
    Lucy war nicht mit in die Hütte gekommen. Durch das Fenster sah ich sie am Ufer stehen und zu zwei riesigen Weiden auf der anderen Seite hinüberstarren.
    Ich lief zu ihr. Lucys Blick war auf einen Punkt zwischen den Weiden fixiert, ein eingesunkenes Stück Erde.
    Sie nahm mir den Spaten ab und ging vorsichtig um den Teich herum. Sie weinte, als sie vor den Weiden stand.
    Inspiration.
    Wir hatten Lowells privates Plätzchen entdeckt.
    Oder war es sein Privatfriedhof? Vielleicht war Karen nicht die einzige, die hier begraben war.
    Lucy begann schweigend zu graben.

44
    Zuerst ließ sie sich nicht von mir helfen, doch als sie in einem halben Meter Tiefe auf feste Tonerde stieß, fluchte sie vor Enttäuschung. Ich nahm ihr den Spaten aus der Hand, sprang in die Grube und schaufelte wie ein Wahnsinniger, als hinge mein Leben davon ab. Das Loch war bald zwei Meter lang und einen Meter tief. Von Knochen gab es bisher keine Spur, doch sobald ich auch nur auf den kleinsten Splitter gestoßen wäre, hätte ich Lucy gepackt und sofort mit ihr das Weite gesucht. Ich gab uns noch fünf Minuten.
    Die Sonne sank dem Horizont zu. Der Teich schimmerte nicht mehr grün, sondern grau. Wir gruben schon seit über einer Stunde. Die einzigen Geräusche waren die Spatenstiche und meine pfeifenden Lungen, bis ich die Stimme hörte. Eine Frauenstimme, vom anderen Ufer des Sees.
    Es war Nova. Ein Mann stand hinter ihr und umfaßte ihre Taille. Mit der rechten Hand hielt er ihr eine Pistole an die Schläfe.
    Ich drückte Lucy herunter und duckte mich in die Grube. Dann krachte ein Schuß.
    Die Kugel verfehlte uns um einen halben Meter. Wir hatten es offenbar nicht mit einem Scharfschützen zu tun, doch unsere Deckung war auch nicht die beste.
    Wir saßen in der Falle.
    Lucy stand die Angst im Gesicht, doch sie atmete ruhig. Als nach einer Minute nichts weiter passiert war, hob ich den Kopf und hielt Ausschau.
    Die Pistole war wieder an Novas Schläfe. Der Mann schob sie vor sich her. Sie kamen um den Teich herum und bis auf zehn Meter zu uns heran.
    Novas linke Wange war zerkratzt und ihr linkes Auge geschwollen. Ich hob noch mehrmals schnell den Kopf, bis ich das Gesicht des Mannes sehen konnte.
    Sein linker Arm lag um ihre Taille. Er trug gebügelte Jeans und ein Sweatshirt. Er sah aus wie ein Manager in Freizeitkleidung.
    Was er auch war. Ich kannte ihn. Christopher Graydon-Jones.
    »Sie sind ja schon weit gekommen«, sagte er. »Schade, daß wir nicht mehr Spaten haben. Also, graben Sie mal weiter. Das Loch muß noch viel tiefer werden, wenn Sie alle hineinpassen wollen. Los, graben Sie!«
    »Sie ist immer noch seine Tochter. Als er Sie anrief, hat er bestimmt nicht gemeint, Sie sollten sie umbringen.«
    »Nein, das hat er wahrscheinlich nicht.« Sein Mund zuckte.
    »Wenn Sie es genau wissen wollen, war es die Nutte hier, die mich angerufen hat, und schauen Sie, was sie davon hat. Es kommt eben nicht immer alles so, wie man denkt.«
    Er stieß Nova das Knie ins

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