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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ihm.
    »Willst du wissen, woher ich von deiner Zeit im Puff weiß?« fragte Lowell. »Von deinem Brüderchen Peter, und ich mußte ihn keineswegs foltern, bevor er damit herausrückte. Wenn ein Junkie sich nach der Nadel sehnt, kommt die schmutzige Wahrheit ganz von allein zum Vorschein. Richtig, Töchterchen, noch jemand, der dich verraten hat, aber mach dir nichts draus: Enttäuschungen formen den Charakter. Halt dich an mich, und du wirst hart wie Granit.«
    »Hast du ihn umgebracht?« fragte Lucy. »Hast du ihm das Zeug gegeben?«
    Das überraschte Lowell, doch er fing sich schnell wieder.
    »Nein«, grunzte er, »das brauchte ich nicht. Mein Fehler war, daß ich zu gut zu ihm war. Ich habe ihm Geld gegeben, obwohl ich wußte, was er damit machen würde. Er kam her und kroch wimmernd auf dem Boden herum. Wenn es darum ging, den Waschlappen zu spielen, war er ein echter Künstler. Und du bist offenbar bei ihm in die Lehre gegangen.«
    »Und was sagt das über dich als Vater aus?«
    »Na was schon? Meinst du, du kannst mich für dein Scheißleben verantwortlich machen? Denkst du etwa, du hättest ein Recht darauf, glücklich zu sein?«
    Inzwischen schrie er und spuckte Speichel, angetrieben von seinen eigenen Worten.
    »Du hast nicht glücklich zu sein! Es gibt keinen großen Plan. Dein Glück bedeutet nicht mehr als ein Eimer Galle!«
    »Für dich bestimmt nicht.«
    »Für niemanden! Der Sinn des Lebens ist nicht Glück, sondern Sein . Existieren. Es spielt keine Rolle, was passiert, sondern daß du passierst. Zur Hölle mit den Konsequenzen.«
    Er röchelte und wurde von nassem, gurgelndem Husten geschüttelt. Dann fiel er auf die Kissen zurück.
    »Bleib bei mir, dann wirst du eine Menge lernen.«
    »Was könnte ich schon von dir lernen, Vater?«
    »Wie man etwas erschafft. Wie man eine Kathedrale wird. - Nein, so einfach ist es nicht. Du wirst mir die Windeln wechseln und den Hintern einpudern. Du wirst auf die Knie fallen und um meine Aufmerksamkeit betteln. Du wirst lernen, was ein gutes Buch ist und wie man es von Schund unterscheidet. Du wirst lernen, wie du selbst von deiner Hurerei profitieren kannst. Und du wirst aufhören, an deinem Selbstmitleid zu ersticken.«
    Er lehnte sich vor und berührte ihren Arm. Seine Finger lagen auf ihrem karierten Hemdsärmel. Sie rührte sich nicht.
    »Du hast keine Wahl«, sagte Lowell leise, »du mußt zu mir kommen, denn wie du jetzt bist, bist du ein Nichts .«
    Sie schaute auf seine bleiche, verkrampfte Hand, dann wieder zur Hintertür, und schließlich schaute sie ihm lange in die Augen.
    »Nichts?« fragte sie traurig.
    »Die Inkarnation des Nichts, mein Engel; das bist du.«
    »Nichts«, wiederholte Lucy und schaute ihm wieder in die Augen.
    Lowell lächelte und streichelte ihre Hand.
    Lucy erwiderte das Lächeln, doch dann zog sie plötzlich ihre Hand zurück und stand auf. Sie ging zur Hintertür und rüttelte am Riegel. Er war eingerostet, doch am Ende bekam sie ihn frei.
    Lowell reckte den Hals und versuchte zu sehen, was sie machte.
    »Vater«, sagte sie mit matter Stimme, »ich gehe jetzt spazieren.«
    »Um nachzudenken? Das ist nicht nötig. Es ist auch nicht deine starke Seite. Mach erst deine Hausaufgaben, dann kannst du spielen gehen. Wenn du gut aufpaßt, verwandle ich dich in etwas Starkes.«
    »Schön gesagt, Vater.«
    Ihre Stimme klang verändert. Hörte ich Selbstbewußtsein, Gelassenheit darin? Lowell bemerkte es sofort. Sein Gesicht schien zu zerfallen.
    »Komm her! Komm zurück!«
    Lucy winkte ihm zu. »Leb wohl, Vater. Es war sehr lehrreich.«
    Dann riß sie die Tür auf. Sonnenlicht strömte ins Zimmer. Lowell blinzelte. Sein Oberkörper zuckte. Er versuchte, irgendwo Halt zu finden, und griff ins Leere, Lucy, Gott und den Teufel verfluchend. Er fiel vornüber, mit dem Gesicht auf die Matratze. Er drehte stöhnend den Kopf und schaute Lucy nach, wie sie im Wald verschwand.
    Ich sah seinen Blick. Ich sah abgrundtiefes Grauen.
    Als ich wegging, hörte ich Lowell nach Nova brüllen. Er schrie wie ein Kind.

43
    Zuerst dachte ich, Lucy wäre in den Wald gelaufen, doch dann hörte ich Schritte neben dem Haus.
    Sie ging Richtung Wagen. Ich atmete auf und lief hinter ihr her. Als wir an ihrem Wagen waren, öffnete sie nicht die Fahrertür, sondern den Kofferraum.
    Ich erwartete, ihr ein Gewehr aus der Hand reißen zu müssen, doch sie nahm einen Spaten aus dem Kofferraum und legte ihn sich über die Schulter.
    Der Spaten war ladenneu. Das Preisschild

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