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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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spuckte aus. Sein schrumpliger Körper schien mit jedem Ausbruch zu wachsen. Das Lachen schien ihn auf dämonische Weise zu beleben und brachte Farbe in sein Gesicht.
    »Die Schuldsonate, erster Satz! Mach dir keine Mühe, Süße, die kenne ich auswendig.«
    Lucy ging im Zimmer herum.
    »Bilde dir nicht ein, daß dein Schweigen mich trifft. Du warst ein stummes Baby mit dünnen Beinen. Kein Schreien, kein Weinen, kein Muckser war von dir zu hören. Du warst totenstill, wie eine hirnlose Mißgeburt. Ganz anders als Opium-Peter. Der heulte immerzu. Ich konnte nur das Weite suchen, sonst hätte ich die Rotznase noch erwürgt. - Aber du, du hast die Lippen nicht auseinandergekriegt.« Er zeigte mit einem knochigen Finger auf sie. »Du wolltest auch nicht scheißen! Dein Arsch hat gestreikt. Nicht schlecht, nicht schlecht, alles nehmen, nichts geben. Ich dachte, du wärst nicht normal, aber deine Mutter war anderer Meinung und hat dir Öl in den kleinen Rachen geschüttet.«
    Lucy brachte ein Lächeln zustande. »Bist du deshalb abgehauen? Weil du es nicht verkraften konntest, ein krankes Baby zu haben?«
    Lowell kicherte, doch diesmal klang es nicht zornig.
    »Ich bin also abgehauen, sagst du. Quatsch! Man hat mich fortgejagt, mit Gezeter und einem Schlag in die Fresse von der lieben Mama.«
    »Mutter soll dich hinausgeworfen haben?« Lucy lachte. »Einen großen, starken Kerl wie dich?«
    Lowell hob die Augenbrauen, steckte sich einen Finger in den Mund und rieb sich ächzend den Gaumen. Als er fertig war, betrachtete er seine Fingernägel.
    »Deine Mutter war die bornierteste, gefühlsamputierteste Hinterwäldlerin, die ich je gekannt habe. Mit dreiundzwanzig war sie die fünfzigjährige Hausfrau - nichts zu holen. Was sollte ich machen? Sie wollte nicht, konnte nicht kapieren, was Leben ist!«
    Lucy hatte die Fäuste geballt. Ich dachte, sie wolle sich auf ihn stürzen, doch dann schüttelte sie nur den Kopf, steckte die Hände in die Taschen und lachte.
    »Mein Gott«, sagte sie, »du tust mir leid.«
    Lowell erblaßte. Er mußte lange suchen, bevor er sein Grinsen wiederfand.
    »Ob es dir bewußt ist oder nicht: Du bist hergekommen, um zu lernen. Wenn du das nicht schaffst, dann liegt das an dir, nicht an mir. Und jetzt die Wahrheit, mein kleines verstopftes Baby: Deine Mutter hat mich hinausgeworfen, weil sie ein bißchen schwesterliche Liebe nicht verkraften konnte.«
    Lucy versuchte weiter, überlegen zu wirken, doch seine Stimme ließ sie zusammenzucken. Er rieb sich die Hände und schaute mich an. »Die Geschichte gefällt dir bestimmt, Doktor Freud.« Dann wandte er sich wieder an Lucy.
    »Nachdem du ihren Bauch schlabbrig gemacht hattest, verlor sie jedes Interesse an Sex, wenn sie je welches gehabt hat, aber zum Glück gab es ja noch das Schwesterchen, die lüsterne Kate.«
    Ich behielt Lucy im Auge, die vor Wut bebte.
    »Schwesterliche Liebe«, bohrte Lowell weiter in der Wunde, »und dann erwischte mich die Mama, in flagranti , wie man so schön sagt. Sie ließ ihre Standpauke ab, und ich zog den Schwanz ein und schlich davon. - Verbannt in die Gosse, ins finstere Paris, und Schwester Kate mußte sich in Kalifornien verkriechen. Doch dann fing die Mama sich irgendwas ein, und - zack - ich war wieder der Vater.«
    Er zeigte mit dem Daumen nach unten und runzelte spöttisch die Stirn. »Ungeeignet wie ich war, mich um eine kreischende Rotznase und einen tonlosen, blockierten Säugling zu kümmern, trat ich die Ehre der Elternschaft an die feurige Kate ab, die es inzwischen mit einem schwulen Journalisten trieb.«
    Lowell lachte gehässig. Lucy standen die Tränen in den Augen.
    »Warum wehrst du dich dagegen, Mädchen? Du brauchst mich.«
    »Tu ich das?«
    »Wenn ich sehe, wie du die verletzte Unschuld darzustellen versuchst, bin ich ganz sicher. Wirklich, meine Kleine, Schluß mit dem schlechten Theater, genug der Heuchelei. Das Jungfrauengetue zieht bei mir nicht. Ich weiß von dem Sommer, den du mit weitgeöffneten Beinen verbracht hast. Sehr enttäuschend, muß ich sagen. Bumsen ist Spaß, aber für Geld Bumsen ist Geschäft. Nicht sehr klug, mein Kind, nicht sehr klug.«
    Lucys Fäuste öffneten sich. Ihre Knie knickten ein. Ich stützte sie und flüsterte ihr ins Ohr, »kommen Sie, wir verschwinden«, doch sie schüttelte energisch den Kopf.
    »Verpaß ihr nur deine Groschenweisheiten, sag ihr, es wird schon wieder«, geiferte Lowell.
    Lucy löste sich von mir und ging an die Bettkante. Sie stand vor

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