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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen. Die schwersten Fälle - die, denen es leid tut, daß es nicht geklappt hat - drehen entweder vollkommen durch, oder sie sagen keinen Ton. Doch Lucretia arbeitet mit und ist recht gesprächig. Sie versteht, warum sie unter Beobachtung bleiben muß. Andererseits insistiert sie, sie hätte nie versucht, sich das Leben zu nehmen, kein sehr kluges Verhalten, wenn es nur darum ginge, mich zu überzeugen, daß ich sie gehen lassen kann, nicht wahr? In den falschen Händen hätte sie leicht…«
    »Sie halten es also nicht für Wahnvorstellungen?«
    »Ich bin mir noch nicht schlüssig, aber als verrückt würde ich sie bestimmt nicht einschätzen. Vielleicht übersehe ich etwas, doch meiner Meinung nach glaubt sie wirklich, sie hätte nie einen Selbstmordversuch unternommen, jedenfalls nicht bewußt.«
    »Konnte sie Ihnen erklären, was passiert ist?«
    »Sie sagt, sie wäre eingeschlafen und im Krankenhaus aufgewacht. Als Sie ihr sagten, weshalb sie hier ist, war ihr erster Gedanke, jemand hätte sie umzubringen versucht. Jetzt, wo sie ganz wach ist, sieht sie ein, daß das keinen Sinn ergibt. Sie ist immer noch sehr verwirrt. Vielleicht bin ich total auf dem falschen Dampfer, doch von Schizophrenie sehe ich auch keine Spur. Lediglich Depression, jedoch nicht die niederschmetternde schwarze Depression, die mit Suizidfällen verbunden ist. Ich habe unseren Psychologen hinzugezogen und sie auf manischdepressives Verhalten testen lassen. Ich dachte, dem Zusammenbruch in ihrem Büro könnte eine manische Episode vorausgegangen sein, doch der Test erbrachte lediglich, daß sie etwas ängstlicher und depressiver ist als der Durchschnitt, keinen Hinweis auf manische Tendenzen. Natürlich haben wir sie auch an den Lügendetektor gehängt, ebenfalls ohne Befund. Sie scheint die Wahrheit zu sagen. Der Psychologe zieht den Schluß, daß es keinen Grund gibt, eine nennenswerte Persönlichkeitsstörung anzunehmen, es sei denn, sie hat schon so viele Tests hinter sich, daß sie weiß, wie man die Ergebnisse manipuliert.«
    »Daß sie ängstlich erscheint, hat ganz bestimmte Gründe. Kurz vor dem Selbstmordversuch kamen wir auf Punkte zu sprechen, die sie sehr beunruhigten. Sie hatte eine sehr isolierte Kindheit. Die Mutter starb kurz nach ihrer Geburt. Der Vater war abwesend. Die Beziehung zu ihm scheint äußerst problematisch zu sein. Doch wenn sie ernstlich krank wäre, hätte sie die drei Monate auf der Geschworenenbank kaum überstehen können.«
    »Was waren das für Punkte, die sie beunruhigten?« Ich beschrieb ihr den Traum.
    »Interessant. Gibt es Anzeichen, daß ihr Vater sie mißbraucht hat?«
    »Sie leugnet, ihn je getroffen zu haben, doch ihr Bruder erzählte mir, sie hätte einen Sommer bei ihm verbracht, als sie vier war. Entweder sie will nicht darüber reden, oder sie hat es vollkommen verdrängt. Was damals wirklich passiert ist, weiß ich nicht.«
    Dennoch erzählte ich ihr von Trafficant und von meinen Ideen in Zusammenhang mit ihm.
    »Sie haben recht, es sind lauter Spekulationen, doch jedenfalls kommt eine Menge Unrat zum Vorschein. Es wird lange dauern, das alles mit ihr durchzugehen, und jetzt ist bestimmt nicht der richtige Augenblick dafür. Wir müssen sehr vorsichtig mit ihr sein.«
    »Ich habe noch nicht erzählt, daß sie ein kurzes Intermezzo als Prostituierte hinter sich hat. Das war mit achtzehn. Sie gibt keine Schuldgefühle zu, aber die sind sicher vorhanden. Und zu guter Letzt hat sie sich in einen der Polizeibeamten verliebt, die Schwandt überführt haben. Es ist der Beamte, der sie an mich verwiesen hat. Er ist homosexuell.«
    »Sie hatten nur ein paar Sitzungen, und all das kam zum Vorschein?«
    »Das meiste erst bei unserem letzten Treffen. Ich weiß, es ging alles zu schnell, aber ich konnte sie nicht stoppen. Nach dem Treffen steckte sie den Kopf in den Ofen.«
    »Sie braucht unbedingt eine sorgfältige Nachbehandlung. - Prostituierte… Dabei sieht sie so gepflegt aus. Wie lange ging das?«
    »Nur einen halben Sommer lang. Sie behauptet, seitdem mit keinem Mann mehr zusammengewesen zu sein. Phil Austerlitz sagt, sie hätte eine starke Abneigung gegen Berührung.«
    »Trotzdem scheint sie gut auf einen männlichen Therapeuten zu reagieren, Sie redet sehr freundlich von Ihnen. Werden Sie sie weiter behandeln?«
    »Sie jetzt im Stich zu lassen wäre das letzte, obwohl ich nicht sicher bin, ob ich der Richtige bin für diese Aufgabe. Der besagte

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