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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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das - hat die Geschworenen gegen ihn eingenommen und zur Todesstrafe geführt. Sie wollen eine Wiederaufnahme, bei der es nur noch um Carrie und die beiden anderen sicheren Fälle geht.«
    »Absurd. Als ob nicht jeder, der bei der Verhandlung war oder die Protokolle gelesen hat, genug Informationen hätte, um die Morde nachzustellen. Glaubst du, es wird wirklich ein neues Verfahren geben?«
    »Weiß der Henker. Die gottverdammte Presse ist völlig vernarrt in Schwandt. Sie fressen ihm aus der Hand wie Zirkus-Seehunde.«
    Ich fragte mich, wie Lucy auf einen neuen Prozeß reagieren würde. Möglicherweise war das Opfer, das sie gebracht hatte, indem sie als Geschworene fungierte, umsonst gewesen.
    Doch das war im Moment das kleinste ihrer Probleme.
    Ich rief im Woodbridge an und benutzte meinen Doktortitel, um eine Schwester zum Reden zu bringen.
    Die Patientin schlief noch. Dr. Embrey war noch nicht bei ihr gewesen.
    Dann versuchte ich es bei Peter Lowell. Keine Antwort.
    Von meinem Telefondienst erfuhr ich, daß Dr. Embrey eine Nachricht für mich hinterlassen hatte. Ich wählte ihre Nummer und sprach auf ein Band, daß ich gern mit ihr reden würde. Dann ging ich zu meinem Wagen.
    Der Gedanke, daß Lucy damals in dem Sommer etwas zugestoßen war, daß ein paranoider Verbrecher und ein kleines Mädchen zusammengebracht worden waren, ließ mich nicht los. Ich nahm den Westwood Boulevard Richtung Norden und fuhr zum Vagabond Buchladen.
    Der Besitzer spielte sein Saxophon. Als ich in den Laden trat, schaute er auf, ohne eine einzige Note zu verfehlen. Dann erkannte er mich. »Hallo.«
    In dem Glasschrank mit den Erstausgaben neben der Kasse gab es einen Neuzugang. Kein Buch, sondern eine große silberne Pistole. Er bemerkte, daß ich die Waffe anschaute, und erklärte: »Es läuft ein Typ herum, der Antiquariate ausraubt. Er kommt kurz vor Ladenschluß, zieht eine Kanone, vergewaltigt den Verkäufer und verschwindet mit dem Geld. Kay von Pepys Books gegenüber wartet jetzt auf das Ergebnis seines Aids-Tests.«
    »Großer Gott.«
    Er fummelte an seinem Pferdeschwanz. »Was kann ich für dich tun?«
    »Ich suche Vom Hunger zum Zorn von Terrence Trafficant.« Er schlenderte zum anderen Ende des Ladens und kam mit einem abgewetzten Taschenbuch zurück. Der Umschlag war feuerrot, der Titel in schwarzen Buchstaben, wie mit einem Messer geritzt.
    »Brauchst du das für Studienzwecke?« fragte er, während er den Preis eintippte. »Sonst würde ich das nämlich nicht lesen an deiner Stelle. Es ist ziemlicher Schund.«
    Ich klappte das Buch auf; auf dem Deckblatt standen Auszüge aus schwärmerischen Rezensionen aus Newsweek , Vogue , Washington Post und Times .
    »Die Kritiker waren wohl anderer Meinung.«
    »Die Kritiker sind Deppen. Glaub mir, es ist Schund.«
    Um drei war ich wieder zu Hause, ruhelos und abgespannt zugleich. Der Ozean war seidig grün. Ich legte das Buch auf den Kaffeetisch, legte mich auf einen der Liegestühle auf der Terrasse, ließ mir von der Sonne das Gesicht wärmen und schlief ein.
    Ruth küßte mich wach.
    »Da ist jemand für dich am Telefon.«
    »Wie spät ist es?«
    »Viertel nach fünf.«
    Ich rieb mir die Augen und ging an den Apparat in der Küche. Es war Dr. Embreys Sekretärin.
    »Dr. Embrey hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob Sie sich mit ihr treffen könnten. Es geht um Lucretia Lowell. Ginge es morgen irgendwann?«
    »Sicher. Und wo?«
    »Sie wird den ganzen Vormittag an der Uni sein. Wenn es Ihnen recht ist, könnten Sie sich in der Mediziner-Kantine treffen, um die Mittagszeit.«
    »Das ginge.«
    »Gut, dann werde ich das an sie weitergeben.«
    »Wie geht es Miss Lowell?«
    »So gut, wie man es unter den Umständen erwarten kann.«
    Beim Frühstück am nächsten Morgen las ich Vom Hunger zum Zorn . Mein Buchhändler hatte recht.
    Trafficants Stil war rüde und unkontrolliert, voller gymnasiastenhaft revolutionärer Rhetorik und Obszönitäten. Sein Lektor hatte seine schlampige Orthographie und Grammatik intakt gelassen, vermutlich um einen Eindruck trotziger Authentizität zu erzielen.
    In der ersten Hälfte ritt er zwei Themen zu Tode: »Die Gesellschaft hat mich betrogen« und »Das werde ich ihr heimzahlen«. Die nächsten fünfzig Seiten waren Briefe, die er an verschiedene Berühmtheiten und Politiker geschrieben hatte, von denen nur zwei geantwortet hatten. Der eine war der Kongreßabgeordnete für Trafficants Heimat-Wahlkreis in Oklahoma: ein vorgedruckter Brief, »Lieber

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