Narben
Polizist ist ein enger Freund von mir.«
»Weiß sie, daß er schwul ist?«
»Noch nicht.«
»Entschuldigen Sie die Frage, aber ist er Ihr Liebhaber?«
»Nein, wir sind nur befreundet. Ich lebe mit einer Frau zusammen.« Ich fragte mich, wieso ich meinte, mich verteidigen zu müssen. »Vielleicht wäre es besser, jemand anderes kümmert sich um sie. Als ich hörte, daß eine Frau sie behandelt, war ich erleichtert.«
»Ich komme gut mit ihr zurecht, glaube ich. Sie arbeitet mit und scheint offen zu sein zu mir, doch wenn ich dann meine Notizen lese, fällt mir auf, daß sie mir kaum etwas erzählt hat.«
»Das Gefühl hatte ich am Anfang auch. Wie gesagt, das meiste kam erst in der letzten Sitzung heraus.«
»Vielleicht ist das der Stil in ihrer Familie. Der Bruder hat mir auch nicht viel erzählt. In der Situation hätte ich mehr von ihm erwartet.«
»Er weiß nicht viel über sie. Er ist ein Halbbruder und hatte sie seit über zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Nein, ich meine nicht den, der sie hereingebracht hat. Ich habe mit dem anderen geredet, Peter ist sein Name. Er rief mich heute morgen aus Taos an. Er sagte, er hätte es von Ken gehört. Er war sehr bekümmert, daß er nicht bei ihr sein konnte, aber es sei leider unmöglich. Und als ich ihm Fragen stellen wollte, blockte er ab, als wäre er in großer Eile.«
»Warum kann er nicht kommen?«
»Geschäftliche Verpflichtungen. Dann rief ich den Halbbruder an. Der ist inzwischen wieder in Palo Alto und weiß überhaupt nichts, wie Sie schon gesagt haben. Aber es ist nett von ihm, für sie zu bezahlen.«
»Ich habe das Gefühl, er will mit ihr Kontakt aufnehmen.«
»Das denke ich auch. Er bot an, alle Formalitäten zu regeln. Er scheint Geld zu haben - zum Glück, denn Lucretia ist nicht mehr versichert, nachdem sie ihren Job aufgegeben hat. Das Krankenhaus sieht es nicht gern, wenn wir Leute behandeln, die nicht bezahlen können. Sie wissen ja, heutzutage ist man als Arzt nicht nur für die Patienten verantwortlich, sondern auch für die Finanzen.«
Ich nickte.
»Wie auch immer, es scheint eine komplizierte Familie zu sein. Gibt es noch andere Verwandte in der Gegend, die ihr helfen könnten?«
»Es gibt einen, doch ob der ihr helfen kann, bezweifle ich.« Ich erzählte ihr, wer Lucys Vater war, doch sie zeigte keine besondere Reaktion.
»Von Literatur verstehe ich nicht viel«, erklärte sie. »Ihr Vater war also für alle Welt zugänglich, nur nicht für sie. Das muß das Gefühl des Verlassenseins noch verstärkt haben. Und jetzt dieser Traum. - Es klingt alles verflucht nach Freud, richtige, altmodische Psychiatrie. Damit habe ich hier kaum jemals zu tun.«
»Was machen Sie denn gewöhnlich?«
»Meistens renne ich zwischen sechs Unfallstationen hin und her und verabreiche Psychopharmaka. Die Nachbehandlung machen dann andere. - Also: wenn Lucretia einverstanden ist, würde ich mich gern um sie kümmern. Sie ist eine interessante Frau.« Sie gab mir ihre Visitenkarte. »Es wäre gut, wenn wir engen Kontakt halten könnten. Sie darf auf keinen Fall das Gefühl haben, sie würde wieder von einem Mann verlassen.«
»Ich wollte sie regelmäßig besuchen, solange sie im Krankenhaus ist. Wann soll ich anfangen?«
»Wann Sie wollen. Ich sage der Schichtschwester, daß Sie kommen. Aber bitte, muten Sie ihr nicht zuviel zu, besonders was Ihren Freund angeht. Ich möchte sie vor weiteren Überraschungen verschonen, solange ich noch kein genaues Bild habe, was in ihr vorgeht. Einverstanden?«
»Ja, aber wenn sie herauskommt, wird sie ihn sowieso ansprechen. Sie betrachtet ihn als ihren Beschützer.«
»Trotzdem, im Moment sollte er sich im Hintergrund halten. Was sie jetzt braucht, ist Schutz vor sich selbst.«
12
Wendy Embrey könnte die Richtige sein für Lucy, dachte ich auf der Heimfahrt, doch gleichzeitig war ich nicht sicher, wie sie auf den Wechsel reagieren würde.
Ich hatte selbst meine Probleme damit: Ich war froh, eine Sorge los zu sein. Andererseits fühlte ich mich schuldig deswegen. Und ich wollte immer noch wissen, was in jenem Sommer passiert war - und sei es nur um meines eigenen Seelenfriedens willen.
Das Telefon summte, als ich ins Haus kam. Ein Ferngespräch von Ken Lowell.
»Hallo, Doktor, was gibt es Neues über Lucy?«
»Sie scheint sich zu erholen.«
»Ich habe mit Dr. Embrey gesprochen. Ich bin etwas verwirrt: Wer wird Lucy nun behandeln?«
»Solange sie im Krankenhaus ist, wird das Dr. Embrey
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