Narben
Wähler« etcetera. Die andere Antwort kam von Morris B. Lowell, der Trafficants »brutale Poesie« pries.
Es entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen den beiden, in dem Lowell sein Mitgefühl ausdrückte für Trafficants Lästern und Klagen. Die letzte Seite war eine Kopie von Trafficants Begnadigungsurkunde.
Ein Lebenslauf des Autors mit Foto fand sich auf dem hinteren Buchdeckel. Es war dasselbe Polizeifoto, das ich aus der Zeitung kannte.
Terrence Trafficant, heißblütiger Sohn unbekannter Eltern, geboren am 13. April 1931 in Walahachee, Oklahoma. Oft geschlagen, von Wölfen gesäugt, geprägt von Jahren der Gefangenschaft in diversen Filialen der Hölle auf Erden. Sein erstes Abenteuer im Strafvollzug begann, als er zehn war, im staatlichen Besserungsheim in O., Oklahoma, nachdem er Zigaretten gestohlen hatte. Er erwies sich als schwieriger Häftling und zog in den folgenden dreißig Jahren von Kerker zu Kerker, oft in Einzelhaft, dazwischen eskalierende Gewalt. Er hat gemordet, geraubt und geprügelt, stets als Ausdruck politischen Protests. So konfrontiert er uns mit einem neuen Begriff von Recht und Unrecht. Eine aufwendige Filmfassung des Erstlingswerks Vom Hunger zum Zorn befindet sich in der Planung.
Ein Psychopath geht nach Hollywood. Gar nicht so ungewöhnlich, obwohl Trafficant nie wirklich ankam.
Ein Bestseller-Autor, der das Ungeheuer von Düsseldorf bewunderte und in seinem Lebenslauf damit prahlte, gemordet zu haben.
Eskalierende Gewalt… Je länger ich nachdachte, desto unmöglicher wurde es, seine Anwesenheit in jenem Sommer in Topanga zu ignorieren.
Die Mediziner-Kantine war ein Meer weißer Kittel, doch bald kam eine hübsche Asiatin in einem pflaumenfarbenen Seidenkostüm auf mich zu.
»Dr. Delaware? Ich bin Wendy Embrey.«
Sie war jung und zart gebaut, mit glatter blauschwarzer Mähne und Onyxaugen. Auf dem Namensschild an ihrem Revers las ich DR. MED. W. TAKAHASHI-EMBREY, PSYCHIATRIE.
»Ich habe dort drüben einen Tisch. Möchten Sie etwas essen?«
»Nein, danke«, antwortete ich, »ich bin nicht hungrig.« Sie lächelte. »Haben Sie schon mal hier gegessen?«
»Gelegentlich.«
»Arbeiten Sie in einem Krankenhaus?«
»Ab und zu, am anderen Ende der Stadt.«
»Da hab ich meine Facharztausbildung gemacht. Sind Sie in der Psychiatrie?«
»Nein, Kinderklinik. Ich bin Kinderpsychologe.« Sie schaute mich neugierig an. Wir setzten uns.
»Aber Lucretia war doch Ihre Patientin?«
»Ja. Manchmal behandle ich auch Erwachsene. Kurzfristige Fälle, gewöhnlich Streßgeschichten. Die Polizei hat sie zu mir geschickt.«
Noch ein neugieriger Blick.
»Gelegentlich berate ich auch die Polizei«, erklärte ich.
»Welche Art Streß hat sie denn durchgemacht?«
»Sie war Geschworene im Schwandt-Prozeß.«
Sie nahm ihre Gabel in die Hand. »Das war sicher schwierig. Wie lange haben Sie sie schon in Behandlung?«
»Wir hatten erst wenige Sitzungen. Sie kam wegen Schlafproblemen zu mir. Ein wiederkehrender Alptraum, später dann Schlafwandelei. Das war kurz vor dem Selbstmordversuch. Sie wachte in der Küche auf. Im nachhinein könnte man es als eine Art Probe für die Suizidnacht begreifen. Es gab auch eine Episode, die man als Narkolepsie interpretieren könnte. Sie schlief am Schreibtisch ein, an ihrem Arbeitsplatz. Als sie aufwachte, lag sie auf dem Boden.«
»Davon hat sie mir erzählt. Sie sagte, Sie hätten sie an einen Neurologen überwiesen und der hätte nichts feststellen können.«
»Ja, Phil Austerlitz, er arbeitet hier. Er hält die Symptome für streßbedingt.«
»Trotzdem interessant, der Somnambulismus. Glauben Sie, der Selbstmordversuch könnte in einer Art Trance während des Schlafwandelns geschehen sein? Ich habe von Fällen gelesen, wo Akte von Selbstverletzung vorkamen, wenn die Tiefschlafperiode von Patienten gestört war. Haben Sie so etwas je erlebt?«
»Bis zum Selbstmordversuch ist es nie gekommen, aber ich habe Kinder gesehen, die unter Nachtängsten litten und sich verletzten, wenn sie aus dem Bett flohen und herumirrten. Ich hatte sogar eine Familie, wo die Kinder und der Vater unter solchen Ängsten litten. Der Vater versuchte im Schlaf, seine Frau zu erdrosseln. Es gibt immer wieder Mordfälle, in denen die Täter Schlafwandelei vorschieben.«
»Vorschieben? Glauben Sie nicht, es ist möglich?«
»Möglich schon, aber sehr selten.«
»Es ist ein seltsamer Fall. Normalerweise haben Überlebende Schuldgefühle, beteuern, es nie wieder zu tun, wollen
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