Narben
obwohl« - sie stockte - »obwohl er selbst jemanden brauchte, der sich um ihn kümmert. Warum ruft er mich nicht an?«
»Was macht er eigentlich beruflich?«
Sie überlegte. »Dies und das.« Sie schaute mich mit rotgeweinten Augen an. »Im Moment macht er gar nichts. Er war drei Jahre auf dem College und hat einen Abschluß in Geschichte. Finden Sie damit mal vernünftige Arbeit. - Ach was, er wird bestimmt bald zurückkommen, und dann können wir alles erklären. Es gibt eine Menge zu erklären. Gott sei Dank komme ich bald hier raus.«
13
Am nächsten Mittag rief Milo an. Ich erzählte ihm von meinem Gespräch mit Lucy und was sie von Dr. Embrey hielt.
»Und was ist deine Meinung über diese Psychiaterin?«
»Sie ist sympathisch, intelligent und eifrig.«
»Aber sie ist eben nicht Alex Delaware.«
»Ich bin nicht sicher, ob das eine Rolle spielt. Lucy deutete an, sie wolle die Therapie vielleicht ganz aufgeben. Und im nächsten Augenblick sagte sie, sie hätte Angst, jemand sei hinter ihr her.«
Ich erwähnte die Geschichte mit ihrer Unterwäsche.
»Und daran erinnert sie sich jetzt plötzlich?«
»Sie wollte kein Aufhebens darum machen - dieselbe Haltung wie bei den Anrufen. Sie scheint nicht darauf aus zu sein, als Opfer betrachtet zu werden, im Gegenteil, sie mag es nicht, wenn man sie bemuttert. Ihr Bruder spielt gewöhnlich den Beschützer, sagt sie, doch jetzt scheint er sie im Stich zu lassen. Er ist angeblich in New Mexico, dringende Geschäfte, obwohl er seit Jahren arbeitslos ist. Er hat Ken und Dr. Embrey angerufen, aber nicht Lucy. Ich glaube, sie macht sich Sorgen.«
»Vielleicht will er nichts mit ihr zu tun haben in ihrer Situation.«
»Das würde ich glauben, wenn Lucy nicht so betonen würde, wie nah er ihr steht. Er scheint ein seltsamer Mensch zu sein. Ich habe ihn einmal gesehen, als er sie zu einer unserer Sitzungen begleitete. Er wollte nicht ins Haus kommen und wartete die ganze Zeit im Auto. Sehr verschlossen.«
»Krankhaft, meinst du?«
»Ich weiß nicht, ich habe ihn nur kurz gesehen. Er wollte nicht, daß Lucy und Ken sich trafen, bevor er ihn selbst besser kennengelernt hätte. Das paßt zu seiner Beschützerrolle. Doch als ich Lucy fragte, wovon er lebt, wurde sie sehr vage und suchte nach Entschuldigungen für seine Arbeitslosigkeit. Es kam mir so vor, als ob eigentlich sie die Beschützerin ist von den beiden. Trotzdem - es könnte schlimme Folgen haben, wenn er sich nicht bald bei ihr meldet. Daß noch jemand sie im Stich läßt, ist das letzte, was sie jetzt braucht.«
»Soll ich sie besuchen?«
»Embrey ist der Meinung, du solltest dich zurückhalten.«
»Das heißt?«
»Ergreif nicht die Initiative, aber wenn sie auf dich zukommt, stoß sie nicht zurück.«
»Wann kommt sie raus?«
»Morgen.«
»Na gut, ihr seid die Fachleute. - Aber eigentlich rufe ich wegen etwas anderem an. Ich habe ein Fax bekommen, aus Malibu. - Denkst du noch nach über diesen Traum?«
»Natürlich. Auf die eine oder andere Weise hat er mit Lucys Zustand zu tun. Was steht in dem Fax?«
»Nichts Besonderes. Kein Frauenmord in der Gegend zwischen Juni und November des besagten Jahres. Von den acht Vergewaltigungen in der Zeit waren sieben in Oxnard. Auf keines der Opfer paßt die Beschreibung deiner langhaarigen Schönheit. Zwei davon waren Hausangestellte, über vierzig, zwei waren Kinder, und die anderen drei Fälle betrafen Prostituierte. Der achte Fall war zwar in Malibu, aber meilenweit weg von Topanga. Besoffene Cowboys und eine Pferdepflegerin auf einer Ranch im Decker Canyon.«
»Hatte sie langes Haar?«
»Nein, außerdem war sie fünfundfünfzig und wog neunzig Kilo. Es gab auch keine Vermißten in Topanga, nur vier Fälle weiter nördlich, in Oxnard und Malibu, die nie abgeschlossen wurden. Wenn du dich an die Zeiten erinnerst - lauter Hippies und Leute, die per Anhalter unterwegs waren -, sind vier ziemlich wenig. Ich habe die Namen und Beschreibungen.«
»Paßt eine davon auf das Mädchen in Lucys Traum?«
»Laß mich nachsehen. Augenblick… Nummer eins ist Jessica Martina Gallegos, sechzehn Jahre alt, Oberschülerin, schwarzes Haar, braune Augen, einsfünfundfünfzig, achtundsechzig Kilo - klingt nicht nach schlank und langbeinig -, zuletzt gesehen um zehn Uhr abends an der Bushaltestelle vor dem Teatro Carnival am Oxnard Boulevard. Die Fotos auf dem Fax sind ziemlich unscharf, aber man erkennt, daß sie kurze Locken hatte, blond mit dunklen Wurzeln.
Die zweite
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