Narcopolis
voller Selbstmitleid? Wogegen rebellierten sie? Warum standen sie nicht einfach dazu, dass sie bloß gern high waren?
•••
Sie kapierte es nicht, aber sie verstand, warum
Hare Krishna, Hare Ram
Rashids Lieblingsfilm war: wegen Zeenat Aman, der bronzehäutigen, Minirock tragenden Schauspielerin, nach der er sie benannt hatte. Sie war überall, auf Filmplakaten und zwei Stockwerke großen Reklametafeln. Sie war auf dem Cover von
Stardust
und lächelte, als kenne sie ein Geheimnis, von dem sonst niemand etwas wusste: Sie schien zu wissen, warum man mit der Zeitschrift in der Hand dastand und sie anstarrte, voller Bewunderung, vielleicht aber auch geblendet, voller Verlangen. Die Zeitschrift hatte ihr einen eigenen Namen gegeben, ›Zeenie Baby‹, und brachte Klatsch und Tratsch über Zeenies Lover in London, New York und Bombay, über die geldgeile Mutter, die ihre Karriere und ihr Liebesleben managte. Die Artikel hatten eigene Bezeichnungen: Superheuler, Exklusivknüller, Bombenexposés. Sie las – schnell, sehr schnell, auch wenn sie manchmal einen Satz laut lesen musste, um ihn zu verstehen – über Zeenies Liebe zu ihrem Vater, einem jung gestorbenen Schriftsteller, und sie schaute sich die Bilder an, von den bescheidenen Verhältnissen, in denen Zeenie groß geworden war, wie auch die glamourösen Standfotos aus den Filmen, die sie berühmt gemacht hatten. Die reinste Romantikerin, dachte Dimple, genau wie Meena Kumari, Madhubala und Begum Akhtar, diese von Eunuchen, Prostituierten und Poeten heißgeliebten Frauenlegenden.
Rashid brachte sie in einen Schönheitssalon in Colaba und bat den Friseur, ihr Haar zu glätten. Wie ein Vorhang soll es fallen, genau wie bei Zeenat, sehen Sie, sagte er, und zeigte auf
Stardust
. Es erforderte stundenlange Arbeit mit dem Glätteisen. Dimple saß im Sessel, las eine Zeitschrift und lauschte der Musik im Radio, Lata, wer sonst, die ›Yeh Mausam‹ sang. Danach hatte sie eine Ahnung davon, wie es war, Zeenie zu sein, schön, berühmt, von aller Welt begehrt, wie es war, auf die Straße zu gehen, um irgendetwas Alltägliches zu erledigen, während sich die Männer umdrehten, ihr folgten oder versuchten, ein Gespräch anzufangen, irgendein Gespräch, als sendete sie elektromagnetische Wellen aus, einen Hormonstrahl, der männliche Tiere magisch anzog. Ein Spanier in der Khana verballhornte den Nachnamen der Schauspielerin zu A Man, ein Mann – er musste diesen Scherz erklären –, weil sie, so sagte er, etwas vom Glamour eines Transvestiten hätte. Dimple bereitete die zweite Pfeife zu, als der Mann sagte: Du siehst ihr ähnlich.
»Sie sind bereits der vierte, der das sagt.«
»Der vierte heute?« Er lächelte.
»Nein, nicht heute«, sagte sie. »Aber ich bin hübscher.«
»Viel hübscher«, sagte er.
Was nicht stimmte, überhaupt nicht, aber sie konnte so tun, als ob.
•••
Dimple saß mit Rashid im Kino und sah zu Zeenies Mondgesicht empor, dem runden, milchweißen Gesicht, das alle Ungerechtigkeit dieser Welt erduldet hatte, und Dimple wünschte sich, sie hätte eine Schwester, eine ältere Schwester, mit der sie reden könnte. Im Kino war es sehr kalt: Eisige Luft blies von den Seiten herein, und sie sehnte sich nach einem Schal. Das ist die Air Condition, sagte Rashid. Die was, fragte sie zurück. Er antwortete irgendwas, das sie gleich wieder vergaß, da sie wie gebannt auf die Leinwand schaute. Zeenie spielte eine Frau, die von ihrer zerrütteten Familie davonläuft und sich in Janice umbenennt. Als Erwachsene trifft sie ihren Bruder wieder, kann sich aber nicht an ihn erinnern.
JANICE ’ BRUDER (versucht, ihre Erinnerung zu wecken): Sieh doch diese Blume. Du hast Blumen so gern gehabt.
(Janice nimmt die Blume und lächelt ein derart liebliches Lächeln, dass man, wenn man sich mit derlei auch nur ein wenig auskennt, gleich weiß, sie wird bald sterben.)
JANICE : Schönheit beginnt im Kopf, in den Augen.
(Sie sind umringt von Blumenkindern. Irgendwer reicht Janice ein Schillum, und sie zieht daran auf ihre unglaublich elegante Art, ehe sie es ihrem Bruder weiterreicht, den sie allerdings noch nicht wiedererkannt hat.)
JANICE ’ BRUDER : Nein, danke, ich bin erkältet.
JANICE (schilt): Willst du bei uns bleiben, musst du sein wie wir. Glück, Rausch, Friede, das ist es, woran wir glauben. Glaubst du an das Glück?
JANICE ’ BRUDER : Kannst du denn nur glücklich sein, wenn du rauchst?
(Rashid kannte die Zeile und hielt nicht viel davon.
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