Narcopolis
Trotzdem sprach er sie laut mit, wenn auch nicht ganz synchron mit Dev Anand, und lachte breit, während er den Schauspieler nachäffte. Ein Mann vor ihnen drehte sich um und wollte etwas sagen, aber als er Rashid sah, überlegte er es sich anders.)
JANICE ’ BRUDER : Bist du glücklich? Janice, bist du glücklich?
(Janice schweigt einen Moment, in den Augen ein Licht, ein uraltes Licht wie das Licht von einem lang erloschenen Mond. Als sie schließlich den Mund öffnet, flüstert sie, so dass sich im Kino alle vorbeugen, um sie besser zu hören.)
JANICE : Ja, ich war noch nie so glücklich. Es ist gut, von daheim fortzulaufen, wenn man dort nicht gewollt wird und man so viel Liebe in sich trägt, die man mit der Welt teilen möchte.
•••
Dimple stellte sich vor, Janice spräche nur zu ihr, beachtete die übrigen Kinobesucher nicht und neigte ihr Mondgesicht bloß, um mit sterbendem Blick allein Dimple aus ihren schönen Augen anzuschauen. Sie wünschte sich, Rashid hätte sie Janice und nicht Zeenat genannt, Janice, die sich weder an Vater noch Mutter erinnerte, die auf der Gitarre klimperte und sagte: Ach, ich kenne dieses Lied, der Titel liegt mir auf der Zunge, mach mir noch ein Schillum, und er fällt mir wieder ein. Worum geht es in dem Lied noch? Sie war so high, sie wirkte wie eine Außerirdische von einer glorreich überlegenen Rasse. Und später liegt sie im Gras, verloren, umgeben von Bergen, und diese wundervolle Frau blickt ins Publikum und sagt: Eltern, warum kriegen die uns? Ein Augenblick des Vergnügens und dann auf Jahre die Last. Eigentlich wollen sie uns gar nicht.
Dimple verstand genau, warum Janice litt. Zu wissen, dass man von den Eltern nicht geliebt wurde, war ein Schmerz, der nie verging. Was immer Dimple auch tat, um ihr früheres Leben zu vergessen, es konnte an dieser fundamentalen Tatsache nichts ändern. Stets stand sie unter ihrem Einfluss, der niemals nachließ. Sie glaubte, es ginge ihr gut, aber das tat es nicht. Schlief sie nicht genug und machte sich zu viele Sorgen, riss die Wunde wieder auf, so frisch, blutig und rot, wie sie nur je gewesen war. Bei der Szene, in der Bruder und Schwester in einem Dorf in Katmandu endgültig wieder zueinanderfinden, gab Dimple sich keine Mühe, ihre Tränen zu verbergen. Andere Besucher weinten ebenfalls, Männer und Frauen, ganze Familien weinten gemeinsam, während sie Popcorn futterten und geräuschvoll an ihren Flaschen Thums Up oder Fanta nuckelten.
•••
Obwohl Rashid den Film schon mehrfach gesehen hatte, übte er auf ihn immer noch eine gewaltige Wirkung aus. Bis sie im Taxi saßen, das sie zurück in die Shuklaji Street brachte, gab er kein Wort von sich. Acht Mal, meinte er dann, und zeigte ihr sieben Finger. Aber ich sehe ihn mir bestimmt noch mal an. Das ist der Film, der mich zu den Drogen gebracht hat. Seinetwegen wurde ich zum Hippie und habe mein erstes Adda aufgemacht. Nur diesen Dev Anand kann ich nicht ausstehen. In der Shuklaji Street würde der keine drei Minuten überleben. Und dann sang er den Titelsong so laut und kräftig, dass er alles Sehnsüchtige verlor und wie eine Hymne klang. Für den Refrain, die ersten Reime, ließ er sich Zeit:
Dum maro dum,
Mit jaaye hum.
Bolo subah sham.
Da aber hörte er auf. Die letzte Zeile: ›Hare Krishna, Hare Ram‹ mochte er nicht singen, die war ihm zu hinduistisch. Weil er ans Abendessen dachte, änderte er stattdessen den Text und begann von vorn:
Dum aloo dum,
Mit jaaye hum.
Bolo subah sham,
Dum aloo dum.
6 Stinkender Teufelsdreck
Als er den Wagen wieder anließ, fühlte er sich besser, fast ein Wunder, wie sich die Stimmung hob, erzählte er Dimple. Rumi fuhr in Richtung Khar, ›Machine Gun‹ voll aufgedreht, und das Smack schlug zu wie die große Basstrommel von Buddy Miles, trotz der beschissenen Lautsprecher in dieser Scheißkarre; dann die Rückkoppelung und diese irren Interferenzen, ein Lärm wie von einem Hubschrauber, sicher GI s in Vietnam, dann wieder Jimi, der seinen Voodoozauber abzog, die Pausen zwischen den Noten zu kratzigen slow-mo-Soundfetzen verflüssigte, Metall mit Fleisch verschmolz: Da überlief es ihn kalt, jedes Mal, so dass er am liebsten den Wagen geschrottet, sich zu Tode gesoffen oder mit einem rostigen, in Industriefarbe getunkten Nagel ein Motto auf die Brust tätowiert hätte:
Kill You Quick
. Und dann, erzählte Rumi, dann sah er die Frau. Sie stand an der Ecke Khar Dhanda und Juhu Road und drehte sich zu den
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