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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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darzubieten.
    Sie ging in der Burka aus und sah, wie Männer ihren lippenstiftbemalten Mund beglotzten, die kajalgeränderten Augen. Die Männer schauten sie an, Hindus, Muslime, Christen, sie alle schauten. Sie blieb am Grant Road Basar stehen, dort, wo sich auf dem Bürgersteig haufenweise Handtaschen stapelten. Der Verkäufer war ein junger Mann mit Schlaghose; sein Blick ruhte auf ihren Füßen. Sie kaufte eine schmale Tasche ohne Henkel und zahlte mit kleinen Scheinen, abgegriffenen Ein-, Zwei- und Fünf-Rupien-Scheinen, die sie aus ihrem BH fischte. Der Verkäufer nahm die Banknoten lächelnd an und sorgte dafür, dass sich ihre Finger berührten. Dann ging sie weiter, doch plötzlich schienen alle Verkäufer zugleich zu reden, nur mit ihr, schienen ihr einmalige Sonderangebote zu machen – hallo, Madam, für Sie, extra billig –, nicht, weil sie wollten, dass sie etwas kaufte, sondern weil sie wollten, dass sie bei ihnen stehen blieb, damit sie sie genauer in Augenschein nehmen konnten.
    •••
    Sie gab die Saris nicht auf. Sie zog sich unterschiedlich an, je nachdem, wer sie sein wollte, Dimple oder Zeenat, Hindu oder Muslim. Jeder Name hatte seine eigene Garnitur. Dann erzählte ihr Bengali von einem Geschäft in Tardeo, das Saris aus dem ganzen Subkontinent verkaufte. In der Mango-Saison ging sie eines Nachmittags hin, um einen Begum Bahar zu erstehen, einen Sari aus feiner, durchsichtiger Gaze. Frauen, die einen Begum Bahar tragen, sagte Bengali, malen sich Pobacken und Füße an, also versuchte sie es auch, bemalte sich mit roter Schellackfarbe und besah sich anschließend im Spiegel. Sie trug keinen Rock unterm Sari, und die Wirkung war raffiniert. Die Konturen ihres Hinterns und ihrer Schenkel waren zu erkennen, die Textur des Stoffes aber verhüllte ihre Figur gerade genug. Sie wusste, einige Giraks würden sehr viel zahlen, um sie einmal im Begum Bahar zu sehen. Bengali sagte: Jetzt siehst du aus, als kämst du aus einer der Kaufmannsfamilien, wie eine träge Bania-Frau mit vielen Bewunderern. Nein, erwiderte sie, und musterte die dunklen Halbringe unter ihren Augen, düster wie blaue Flecken. Nein, ich sehe aus wie eine Frau, deren einziger Bewunderer sich vor so langer Zeit aufgehängt hat, dass sie sich weder an seinen Namen noch daran erinnern kann, warum er sich umgebracht hat und ob er ihr überhaupt fehlt; gewiss ist sie sich nur der eigenen Einsamkeit, des Bedauerns und vor allem der Wut. Bengali sagte: Du irrst dich, du hast viele Bewunderer, und ich bin stolz darauf, einer von ihnen zu sein. Danach ging er rasch hinaus, so dass sie wusste, was er gesagt hatte, war ihm peinlich. Sie vertauschte den Sari gegen einen Salvar. Während der Arbeit trug sie keine Burka, niemals; Rashid hatte gesagt, das käme unter keinen Umständen infrage. Seine Kunden seien zwar Zuhälter und Chandulis, doch seien sie zugleich auch sehr konservativ, und eine Frau in Burka, die ihnen ihre Pfeife reichte, damit würden sie sich nicht so ohne weiteres abfinden. Außerdem, fuhr Rashid fort, seien Salvars doch viel bequemer. Sie zog sich um und nahm ihren Platz an der Hauptpfeife ein, und sobald sie Rashid die erste Pyali des Tages gemacht hatte, kümmerte sie sich um die Wartenden, zu denen meistens auch Rumi gehörte. Er kam zum Reden wie zum Rauchen, lieh ihr seine Kopfhörer und spielte ihr Musik vor, die sie noch nie gehört hatte, vor allem Jazz, für den er eine gewisse Schwäche, wenn auch keine Liebe entwickelt hatte, so wie, sagte er, man an sich eine Schwäche für Anchovis oder Bitterschokolade entdecken kann, ein unverhofftes Goutieren, das manchmal noch spät im Leben kommt. Er erzählte ihr von der Arbeit und seinen häuslichen Verhältnissen, die, so fand sie, ein reines Desaster waren.
    •••
    Am Abend zuvor, erzählte er, sei er zur üblichen Zeit nach Hause gekommen, gegen zehn, da
er mit Bahn und Bus anderthalb Stunden brauchte. Als er zur Tür hereinkam, lärmte der Fernseher im Schlafzimmer. Seine Frau stand nicht auf, um Hallo zu sagen. Sie war immer müde, so müde, dass sie bereits erschöpft aufwachte, was ihn nicht weiter verwunderte, da sie die meiste Zeit Doordarshan sah. Er war es, der den ganzen Tag arbeitete, und sie war müde, erzählte Rumi, die Stimme schwer vor Rauch und Sorge. Er habe die Aktentasche abgestellt, erzählte er weiter, und sei ins Bad gegangen, um sich den Schmutz von Händen und Gesicht zu waschen. Dann habe er sich eine Jeans und ein Pink-Floyd-T-Shirt

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