Narcopolis
System der Negativität, indem du ein korruptes Modell unterstützt, das unser Land in die Knie gezwungen hat. Sein Onkel war Geschäftsführer der Firma, ein routinierter Redner, der stundenlang vor vollbesetztem Haus Schwachsinn ins Mikrophon verzapfen konnte. In so etwas war er geübt. Deine Generation, sagte er, erntet, wofür wir Älteren im Schweiße unseres Angesichts gearbeitet und Opfer gebracht haben. Ich war während des Freiheitskampfes ein junger Mann und wusste, worauf meine Eltern verzichten mussten, wusste, wie einfach und bescheiden wir lebten. Vor allem aber glaubten wir an die Wahrheit, und es betrübt mich zutiefst, dass ich mit ansehen muss, wie du einen Geldschein zückst und ihn dem Mann gibst, als würdest du eine Karte fürs Kino kaufen. Die verbleibende Fahrtzeit, noch gut vierzig Minuten, herrschte drückendes Schweigen im Auto. Am Flughafen griff sein Onkel nach der Aktentasche und ging, ohne sich zu bedanken oder zu verabschieden. Das würde noch mächtig Ärger geben. Sein Vater, der arme Verwandte in der Firma, würde Rumi endlos vorhalten, dass er die Zukunft der Familie aufs Spiel gesetzt hatte, als er vor den Augen seines Onkels einen Polizisten bestach. Dann schwieg Rumi einen Moment und stellte schließlich eine Reihe von Fragen, die nicht allein an Dimple gerichtet waren. Wie sah es denn mit seiner eigenen Zukunft aus? Er verdaute noch seine Trennung. Seine Ehe war gescheitert. Und die Frau zu verlassen hatte bedeutet, aus dem Familiengeschäft auszusteigen. Was wiederum nach sich zog, dass er in die Firma seines Vaters zurückkehren musste und in den Genuss solcher Traumjobs kam wie etwa dem, seinen Onkel zum beschissenen Flughafen zu kutschieren. War bloß eine Frage der Zeit, bis die Kacke so richtig dampfte. Und wie ging es dann weiter? Natürlich würde man ihn feuern. Und dann? Wohin würde er gehen? Womit sollte er sein Geld verdienen?
•••
Es war spät, schon nach zehn, aber auf der Strecke vom Flughafen in die Stadt herrschte immer noch reger Verkehr. Der Tagessmog wandelte sich in seine Nachtvariante, eine toxische Staubwolke, die über dem Asphalt hing und die Luft mit dem Geschmack industrieller Abwässer würzte. Er kurbelte das Fenster herunter und nahm einen tiefen Zug, füllte die Lunge mit dem vertrauten, ätzenden Metallaroma Bombays. Er fuhr schnell, fuhr zurück nach Bandra, wo er, als er an einer Ampel warten musste, einen Mann unter einer Überführung schlafen sah, Kopf und Körper in ein Laken gewickelt. Er sah wie ein Leichnam aus, der verbrannt, wie ein Haufen Lumpen, der in den Ofen gesteckt werden sollte. Daneben lagen seine Besitztümer, ebenfalls in ein Laken gehüllt, und in der Nähe brannte ein Feuer. Rumi fiel der Mann in Bürokleidung erst auf, als er am Beifahrerfenster stand und irgendwas über einen Platten murmelte. Als Rumi nach den Reifen sehen wollte, langte der Mann ins Auto, schnappte sich die Brieftasche vom Armaturenbrett und rannte davon. Rumi ließ das Auto an Ort und Stelle stehen, unverschlossen, und jagte dem Kerl hinterher. »Das war wie ein Reflex, Yaar«, erzählte er Dimple. Er rannte locker, im Rhythmus der Musik in seinem Kopf, wumm, wumm, dazu Gesang wie ein Echo:
If I don’t see you in this life, I’ll see you in the next one, don’t be late
. Blick- und Geruchssinn waren derart geschärft, dass er den Atem des Diebs, den strengen Schweiß riechen konnte. Selbst die Ränder seines Gesichtsfeldes nahm er mit aller Schärfe wahr, sah einen Kakerlak auf der Mauer der Überführung, sah den Schlafenden, sein Kochgeschirr und die Ziegel, auf denen er sich das Essen zubereitet hatte. Er wusste, die Ziegel waren noch heiß, wusste es, ohne sie anzufassen, und bewegte sich, nein, wurde bewegt: Er war nichts als Körper. Dann hörte er auf zu rennen, bewegte sich seitwärts, lautlos, ging in die Hocke, ließ die Arme hängen. Der Dieb kauerte an einem unbeleuchteten Fleck unter der Überführung, ging die Brieftasche durch und steckte sich gerade etwas ein, als Rumi dem Mann seinen Schuh in die Seite stieß, fest zustieß und sagte: »Steh auf, Schwesternficker.« Der Mann sprang hoch, das Haar zerzaust, ein Bauarbeiter oder ein Penner in schlechtsitzenden Büroklamotten, der sich erst wehrte, als er in den Bauch getreten wurde. Dann schlug er wie wild um sich, da Rumi immer wieder zutrat. Gutgezielte Tritte in den Magen, auf die Brust. Und schließlich, erzählte er Dimple, schließlich holte er den Hammer aus dem
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