Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
Vom Netzwerk:
noch Schlechteres zu machen. Aber ich sag dir, woran es in Wirklichkeit liegt: Wir sind katharnak Schwesternficker, wir alle hier in der Shuklaji Street; wir haben den Tod verdient und sind nur zu gern bereit, mit der Stirn den Boden zu berühren und zum Gott Garad zu beten. Wir verdienen den Tod. Dimple sagte, er solle nur für sich sprechen. Ich will nicht sterben, sagte sie, heute nicht. Ich habe noch was zu erledigen. Erkläre mir, warum Chemical zu haben ist, es auf dem Markt aber keine Tomaten gibt. Weil, meine liebe Dimple, sich die Stadt in der Hand von Politikern und Gaunern befindet, und manche Politiker sind größere Gauner als die schlimmsten Ganoven. Der Verkauf von Garad wird geschützt, und das hat nichts damit zu tun, dass das Zeug aus Pakistan kommt. Man schwingt Reden gegen Muslime, verbrennt unsere Häuser und Läden, aber bei diesem Geschäft geht es um Millionen, und Geld ist nun mal die einzige Religion, die Bumbai kennt. Die Leute sind ja nicht blöd. Aber jetzt erzähl du mir was. Was machst du hier? Dimple nickte. Mit der Welt geht es zu Ende, sagte sie, jedem kann jederzeit so ziemlich alles passieren.
    •••
    Von Salim ging sie Richtung Novelty-Kino. Alle Geschäfte entlang der Grant Road waren geschlossen. Sie sah Männer in Gruppen, immer in Gruppen, immer Männer, die ihr nachstarrten, und sie spürte den Unterschied in ihrem Interesse. Das war nicht die übliche Glotzerei, das war geschäftsmäßiger, fast, als wögen sie ihr Fleisch und überlegten, wie viel es ihnen auf dem Markt einbrächte. Überall Trümmer und der Rauch kaum erloschener Feuer. Sie sah qualmende Taxis und Laster. Sie sah den Slipper einer Frau, ein einzelner, genau in der Straßenmitte. Er war in gutem Zustand, aus Kunstleder mit blauen und gelben Blumen auf den Bändchen. Sie sah zwei wie für einen mittelalterlichen Krieg gerüstete Männer, einer mit Schwert, der andere mit Dreizack. Sie hielten sich jeder eine Hand an den Mund und küssten die Fingerspitzen. Weißer Rauch stieg aus ihren hohlen Händen auf. Wortlos sahen sie ihr nach, bis sie um die Ecke bog. Dimple wusste nicht genau, wo die Kirche war, und eilte die Straße entlang, bis sie das Gebäude fand, versteckt zwischen Polizeirevier und Elektrogeschäft. Das Polizeirevier war geschlossen. Warum denn auch nicht an einem Tag, an dem die Stadt brannte? Polizisten und Hunde, dachte sie, waren stets die Ersten, die Ärger rochen und sich verdrückten. Als Dimple die Stufen zur Kirche hinaufging, hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, doch plagte sie es in diesen Tagen so oft, dieses Gefühl, dass sie nicht mehr darauf achtete. Die Tür war zugezogen, aber nicht abgeschlossen; sie öffnete sie und betrat einen kleinen Raum mit Metallstühlen und einer Christusstatue. Licht kam einzig von einer Glühbirne, die in einem Käfig über der Statue hing, weshalb sie in der Luft zu schweben schien, eine Hand zur Decke ausgestreckt. Dimple strich ihr Kleid glatt, ein langes Kleid, das ihr bis zu den Waden fiel. Zum ersten Mal seit Monaten trug sie etwas anderes als eine Burka. Dann machte sie vor der Statue einen Knicks. Wo hatte sie gelernt, einen Knicks zu machen? Anschließend schob sie einen Stuhl vor Christus, zog die Schuhe aus und stieg hinauf. Wenn sie sich auf die Zehen stellte, konnte sie mit Mühe seine Hand erreichen und die Stirn an seinen Zeigefinger lehnen. Ihr fiel auf, wie rosa und blau die Lippen waren, seltsame Lippen, wie von jemandem, der gestorben und für die letzte Zurschaustellung unangemessen hergerichtet worden war. Das Haar wirkte ungewaschen, die Augen blickten müde. Im Gesicht fand sich kein Hinweis auf ein Lächeln, keine Andeutung darauf, dass sein Leben je etwas anderes als ein titanischer Kampf gewesen wäre. Gegen was? Gegen sich selbst, gegen die eigene Feigheit und Unwürdigkeit, vor allem aber gegen die eigene Schande. Sie wusste, sein Leben war eine einzige Prüfung gewesen von dem Moment an, in dem er erwachte, bis zum letzten Gedanken vor dem Einschlafen, falls er denn überhaupt je schlief, da unter seinen Augen kleine, dunkle Flecken prangten und er nicht aussah, als bekäme er genügend Ruhe. Seine Wunden wirkten dramatisch, wie hochglanzpoliert, Filmstarwunden, die nicht heilen würden, die ewig frisch aussahen, und der Dornenkranz auf seinem Kopf tropfte ihm Blut in die Augen und auf die leuchtenden Lippen. Dimple überkam eine plötzliche Dankbarkeit, die sie sich setzen und das Gesicht in den Händen

Weitere Kostenlose Bücher