Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
Vom Netzwerk:
wenn man weiß, dass eine Menge Leute warten. Dann zog er uns auf dem Titelblatt einer Filmzeitschrift zwei ungleiche Lines aus schmutzig weißem Pulver und gab Rumi einen eng aufgerollten Hundert-Rupien-Schein. Die beiden Lines verliefen diagonal über den bekannten Mund und das tiefe Dekolleté der Schauspielerin auf dem Cover. Rumi beugte sich mit dem Geldschein vor, schniefte eine Line, schloss die Augen und steckte sich die Finger in die Ohren. Ich teilte meine Line, eine Hälfte für jedes Nasenloch. Mit hartem chemischem Brand traf das Pulver auf die hintere Nasenwand, und in Sekundenbruchteilen zerflossen meine Knie in der anhydrischen Flut, wurden Neuronen von Nervenenden abgekoppelt, Knochen und Gewebe ausgelöscht und alle Sorgen, da jede Schmerzmöglichkeit getilgt wurde. Ich dachte: Wenn es der Schmerz ist, der alle Lebewesen eint, dann bin ich kein Mensch mehr, auch nicht Tier oder Pflanze; ich wurde vom Ticken des Metabolismus entstöpselt; ich bin ein Mineral.
    •••
    Rumi und Pepsi saßen auf dem Sofa und rauchten einen Joint, einen schweren Bombay-Schwarzen, sie waren berauscht vom Rauch und vom Gespräch. Der Mandraxmann war auch da, in sich zusammengekrümmt, die Augen weit aufgerissen vor Begreifen oder Blödheit. Die Hijra, auf dem Boden, rauchte winzige Pulvermengen von einem Alustreifen. Sie schnitt eine leere Gold-Flake-Packung in lange Striemen, die sie an der Kerze in Brand setzte und an den Alustreifen hielt. Wenn das Pulver schmolz und Rauch emporkringelte, saugte sie ihn mit einem aluumhüllten Strohhalm auf und hielt ihn tief in der Lunge, bis er in ihre Zellen verschwand, wo er sich wandelte und mehrte. Das Haar trug sie sehr kurz, und am Kinn hatte sie eine offene Wunde, ein tiefes Loch voller Schleim. Ich beobachtete sie, konnte nicht wegsehen, und als sie meinen Blick auffing, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Erst da begriff ich, dass es Dimple war, und ich schämte mich, dass ich so lange gebraucht hatte, sie zu erkennen. Sie wies auf das Loch in ihrem Kinn, sagte aber nichts. Zuletzt hatte ich sie vor zehn Jahren gesehen, als sie Rashids persönliche Pfeifenzubereiterin gewesen war, bekannt für ihre Schönheit. Von der war keine Spur geblieben; weiße Stoppeln auf den Wangen, schütter das honigfarbene Haar. Früher waren wir Freunde gewesen, doch war mir nie in den Sinn gekommen, sie zu besuchen oder mich nach ihr zu erkundigen. Immer hatte es irgendeine Krise gegeben, jeden Tag eine Krise; und Heroin stach jede Freundschaft aus. Jetzt wählte ich den leichten Weg, nahm Geld aus der Tasche, behielt genug fürs Taxi nach Hause und legte den Rest neben ihr auf den Boden. Es dürften etwas über sechshundert Rupien gewesen sein. Ich wollte noch mehr tun, aber ehrlich gesagt, ich war so high, dass mir alles egal war. In einer Ecke flackerte ein Fernseher, stumme Bilder von gesunden Männern und Frauen, weiß, die in Zeitlupe über einen Strand liefen. Die Sonne schien, der Sand war sauber, das Wasser klar, die Farbe so lebhaft, das sie mir ebenso unwirklich vorkam wie die Leute, die da in engen Badeanzügen herumliefen. Ich sagte etwas, ich weiß nicht mehr was, und Dimple versuchte aufzublicken, konnte es aber nicht; der Kopf war zu schwer.
    •••
    Ich dachte: Für jedes Glück gibt es ein vergleichbares, gegenteiliges Unglück. Dann zog ich am Charas, und das Zimmer füllte sich mit Licht. Alles war durchsichtig, die Haut auf meinen Armen dünn wie Papier. Ich blickte in mein Fleisch und sah die Knochen, wie sie sich in rosigen, durchschimmernden Lagen bewegten; währenddessen fiel der Regen ohne Unterlass in breiten Schwaden aufs Dach, Wasser schwemmte über die Fenster und sammelte sich in den Zimmerecken. Wir rauchten das schmutzige Hasch, schwarzen Bombay-Charas, in Farbe und Konsistenz wie Ziegenkacke, und danach gab’s Heroin auf Alustreifen. Wir sprachen die Worte, die schönen, ohne Bedeutung oder Sinn. Wir lachten grundlos und unterbrachen unser Gelächter mit Stille. Pepsi breitete einen Gebetsteppich aus und betete; wir warteten in dem Zimmer, in dem der Fernseher wie Feuer flackerte, der Regen gurgelte und prasselte. Wir rauchten. Kunden kamen und gingen. Wir sprachen die schönen Worte, und wir nannten Heroin bei seinem frohen Namen. Ich schlief nicht, war aber voller Träume, und als ich nach draußen ging, brach der Morgen an. Der Regen hatte nachgelassen. Alles war von Bedeutung erhellt. Wasser schwappte an die verfallenen Gebäude der Stadt,

Weitere Kostenlose Bücher