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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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redete über vieles. Sie sagte, von Garad werde sie nicht mehr high; sie rauche nur noch, damit sie sich nicht länger krank fühle. Sie sei beim Arzt gewesen, der habe ein Magenproblem festgestellt und gesagt, sie müsse vermutlich operiert werden. Vielleicht das Einzige, was ihr noch Vergnügen bereite, sei das Lesen, vor allem aber liebte sie es, über das Meer zu lesen. Im Augenblick, sagte sie, lese sie ein Buch, in dem gebe es hundert Wörter für das Meer, Wörter, die sie nie zuvor gelesen oder gehört hatte, und andere Wörter, bessere Wörter, Wörter, die hilfreicher waren, da sie gewöhnlich waren. Sie sagte, sie liebe das Buch, denn die Menschen darin seien so besessen und verrückt wie die, die sie kannte, und obwohl es ein dickes Buch sei, seien die Kapitel kurz, kurz wie Gedichte, kurz und rätselhaft; und es gebe Lieder – Shanties, Schlaflieder, Sauflieder und seltsame Gesänge –, die Männer tapfer machten. Dimple schaute auf die fleckigen Wände der leeren Wohnung und fragte, ob sie einen Tee haben könne, aber die Küche war ausgeräumt, weshalb ich nach einer Weile ihren Koffer nahm und wir mit einer Rikscha zu einem Stand fuhren, an dem der Tee stark war und mit gebuttertem Brot serviert wurde. Ich hörte Glocken, und mir wurde klar, es war Sonntag. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne ließ sich sogar ein wenig blicken. Ich brachte Dimple nach Safer, dem Reha-Zentrum, in dem ich mich erst letztens erfolglos zu kurieren versucht hatte. Das Zentrum war in einer Kirche in der Chapel Road untergebracht und meist ab sechs Uhr morgens geöffnet, da die Patienten dann vorm Frühstück Yoga machten. Als wir kamen, bereitete man Frühstückstee zu, und eine Stunde später war Dimple aufgenommen und versorgt. Als es für mich Zeit wurde, schüttelten wir uns die Hände wie zwei alte Kumpel.
    Und obwohl ich eine Woche lang gewartet hatte, mit gepackten Taschen und reisefertig, blieben mir nur wenige Minuten, als ich zum Flughafen kam. Ich hastete durch die Passkontrolle, über Flure mit abblätternder Farbe und durch wasserfleckige Hallen, die leer bis auf die Sicherheitsbeamten waren, die mich vorübereilen sahen; meine Pupillen winzige Nadellöcher voll weißem Himmelslicht. Im Flugzeug warf ich meine Tasche in die Gepäckablage, nur die Wildlederjacke behandelte ich mit Vorsicht, behielt sie während des ganzen Flugs auf dem Schoß. In der Innentasche war ein Loch, in dem hatte ich ein Tütchen Heroin versteckt. Die Maschine stand noch auf der Startbahn, als ich zum ersten Mal zur Toilette ging und mir auf der Brieftasche eine Line legte. Ich ging an meinen Platz, setzte mich, lehnte den Kopf zurück, spürte, wie sich hinten in der Kehle das Heroin auflöste und döste vor mich hin, als das Flugzeug abhob. Durch halbgeschlossene Lider meinte ich die rostigen Wellblechdächer des Bandra-Slums zu sehen, in dem ich mir so viele Jahre lang meine Drogen besorgt hatte, die einräumigen Hütten, in denen ganze Familien hausten, die heruntergekommenen Läden, in denen Zigaretten verkauft wurden, Batterien und Glühbirnen, die offenen, dreckverstopften Abwasserkanäle sowie die vielen Menschen, die in langer Reihe hintereinandergingen; und gleich darauf sah ich die Straßen von Bombay Central, die Treppe hinten in der Pilahouse Lodge, immer noch überflutet, obwohl der Regen aufgehört hatte; dann aber verwischten die Gesichter der Menschen, die ich kannte, und setzten sich zu einem Gesicht zusammen, das mir sehr vertraut vorkam, auch wenn ich den Grund dafür nicht kannte, das Gesicht einer Schwester, die ich verloren, eines Sohnes, den ich nie gekannt hatte, oder das Gesicht einer Person, die ich liebte und die gestorben war.

12 Reha, Rückfall
    Rumi war bei Shakoor, nicht bei Rashid, weil Shakoor Gratis-Lines Kokain ausgab und sein Heroin billiger war und stärker; außerdem wollte Rumi kein Opium, was sollte er also bei Rashid? Er saß im Hinterzimmer mit zwei Typen, einem Dealer und einem Zuhälter, und der Dealer sagte zum Zuhälter: Hör zu. Hörst du mir zu? Habe ich deine Aufmerksamkeit? Der Zuhälter rauchte mit kurzem Plastikhalm. Er nahm den Halm aus dem Mund und schaute den Dealer an. Nun, sagte der Dealer, wenn du dir sicher bist, mir eine Minute deiner kostbaren Zeit opfern zu können, will ich dir etwas erzählen, was du gern hören möchtest. Der Zuhälter blickte unverwandt den Dealer an, der ihm in Wuchs und Hautfarbe ähnlich sah. Eigentlich, dachte Rumi, könnten sie sogar

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