Narcopolis
warum du glaubst, dass man Muslimen nicht trauen kann.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Du brauchst nicht zu sagen, was dir ins Gesicht geschrieben steht.«
»Meinem Gesicht lässt sich nur Langeweile ablesen, Rashidbhai. Langeweile und noch mehr Langeweile. Seit so vielen Jahren komme ich jetzt schon zu dir, aber was weißt du über mich?«
»Ich weiß, dass du ein Garaduli bist. Ist das nicht das Wichtigste?« Laut lachte er über den eigenen Witz und fuhr dann fort: »Mit dem Umzug nach Bandra kam für dich der Wechsel von Chandu zu Garad; du redest Englisch, wenn du high bist, und du bist ein Nasrani. Aber jetzt erzähl mir, warum du den Muslimen nicht traust. Wir sind hier alle Raucher, nashe ki aulad, da brauchst du keine Angst zu haben.«
»Ich will ja nicht sagen, dass ich euch nicht trauen kann.«
»Aber?«
»Aber warum reden wir nicht über das, worüber wir nicht reden? Meinst du das?«
»Ja.«
»Durch meine Religion kann man mich nicht kennenlernen.«
»Mich durch meine schon. Wenn ich bete, komme ich mir vor, als täte ich etwas Sauberes.«
»Nur warum so beten, dass dich die ganze Nachbarschaft hört? Warum mit Mikrophon? Mit Trommeln und Musik mitten in der Nacht?«
In ebendiesem Moment sagte der Mandraxmann: »Es gibt da eine Stadt in Kerala, an deren Hauptstraße stehen ein Tempel, eine Moschee und eine Kirche; alle mit Megaphonen. Ist die lauteste Straße der Welt.«
»Unsere Stadt hat sich verändert«, fuhr Rashid fort. »Die Leute tragen ihre Religion im Gesicht. Als Muslim fühle ich mich in vielen Gegenden nicht willkommen; du kennst das Gefühl.«
»Ich kenne es. Wer nicht?«
»Als Nasrani solltest du es genauso spüren wie ich. Okay, allen Muslimen kann man nicht trauen, aber was ist mit den Hindus?«
»Was ist mit Hindus, Rashidbhai?«, fragte Rumi.
»Arre, du mit dem Hammer in der Aktentasche; du wartest doch nur auf einen neuen Krieg.«
»Hammer?«
»Choothiya; die ganze Straße weiß über den Hammer Bescheid.«
»Reine Vorsichtsmaßnahme.«
»Muss wohl, gibt hier nämlich keine Nägel.«
Einige der an der Wand sitzenden Männer lachten, doch Jamal, Rashids Sohn, verzog keine Miene. Er war damals noch ein Teenager, ernst und eigenbrötlerisch.
»Sag, warum trägst du den Namen eines großen muslimischen Dichters, wo du doch ein Hindu bist?«
»Ist ein Spitzname.«
»Rumi ist ein mächtiger Name für einen mächtigen Shai’ir.«
»Rumi ist ein muslimischer Name?«
»Jalal al-Din Rumi. Sogar Bhadwas, die nie ein Buch gelesen haben, können ein Ghasel von ihm aufsagen, als hätten sie es selbst geschrieben.«
Ein Zuhälter sagte gleich darauf: »Alle sterben, selbst er, selbst sie./Wie kann man das wissen und kein Mitleid empfinden?«
Rashid rollte mit den Augen, nahm einen Zug von der Pfeife und sog am Joint.
»Früher gab es sechsunddreißig Chandu-Khanas auf der Shuklaji Street«, sagte er, »heute ist meine die letzte, vielleicht sogar die letzte in Bombay. An manchen Abenden, wenn ich auf dem Balkon stehe und über die Stadt blicke, denke ich, es ist die letzte Chandu-Khana der Welt. Und auch die wird bald verschwunden sein. Was noch? Die Worte, die wir sagen, und die Menschen, die wir kennen, du und ich, wir alle werden verwehen wie Rauch im Wind. Weißt du, was stattdessen kommt? Neues Business, und wer neues Business will, muss zum selben Gott wie seine Kunden beten.« Er leckte über seinen Finger und befeuchtete die Jointspitze. »Nasrani«, sagte er, »hörst du mir zu?«
Ehe ich etwas erwidern konnte, tauchte die Hijra im fleckigen Sari wieder auf, und wir waren an der Reihe. Rumi und ich sprangen auf und gingen hinein.
•••
Die Hijra führte uns an einem Raumteiler vorbei in ein Hinterzimmer, in dem der Nigerianer an einem Tisch saß. Auf einem Beistelltisch standen ein Plastikkrug Wasser, eine Untertasse mit gebrauchten Teebeuteln sowie eine Anzahl kleiner Flaschen. Außerdem gab es diverse Sorten Abführmittel und eine Flasche Hustensirup. Auf einem Tablett des Zimmerservices lagen gut ein Dutzend Latexeier, gewaschen, aber so groß, dass ich mich erstaunt fragte, wie es ihm gelungen war, sie sich in den Hintern zu stecken. Er trug eine frisch gewaschene Kufi-Kappe zum gestreiften Hemd, und die Schuhe waren auf Hochglanz poliert. An der Stirn prangte ein Gebetsfleck, und die Augen hinter der goldrandigen Brille waren klar. Er stellte sich als Pepsi vor und entschuldigte sich für die Verzögerung. Das Scheißen fällt schwer, sagte er,
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